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Archiv-Artikel

Eine folgenreiche Schlafwagenfahrt

MEMOIREN Marianne Feilchenfeldt Breslauer war Fotoreporterin und Kunsthändlerin. In ihrer eben erschienenen Biografie erzählt sie unter anderem, wie es in der berühmten Berliner Galerie von Paul Cassirer zuging. Ein Auszug

Marianne Feilchenfeldt Breslauer

■ Man kennt sie unter zwei Namen: als Fotografin Marianne Breslauer und als Kunsthändlerin Marianne Feilchenfeldt. Sie gehörte zu den ersten jungen Frauen, die in den 1920er-Jahren die Ateliers verließen, um als Reporterinnen zu arbeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie die erste Frau, die Kunsthandel auf internationalem Niveau betrieb. In ihren Erinnerungen blickt Marianne Feilchenfeldt Breslauer zurück auf ihre Lehrjahre als Fotografin in Paris bei Man Ray, ihre Liebe zu Walter Feilchenfeldt, dem Kunsthändler und Verleger bei Paul Cassirer. Sie befreundet sich mit Marlene Dietrich, reist mit Annemarie Schwarzenbach durch Spanien, begegnet Ernst Bloch, Oskar Kokoschka und Max Beckmann. Doch sie berichtet auch vom aufkommenden Nationalsozialismus in Deutschland, ihrer Emigration 1936 und dem Beginn eines neuen Lebens in Zürich. Es ist der Bericht einer glücklich Verschonten – lebhaft und illusionslos zugleich. Marianne Breslauer Feilchenfeldt starb 2001. Der vorliegende Text ist ein leicht gekürztes Kapitel ihrer Memoiren.

■ Marianne Feilchenfeldt Breslauer: „Bilder meines Lebens“. Leinen mit SU mit 40 Fotografien im Duoton. Nimbus Kunst und Bücher, Wädenswil 2009, 231 Seiten, 26 €

VON MARIANNE FEILCHENFELDT BRESLAUER

Der Zufall wollte es, daß ich an einer Tramhaltestelle wartete und Walter Feilchenfeldt mit seinem Wagen dort halten mußte. Er sah mich, gestikulierte und rief, ob er mich irgendwohin mitnehmen könne. Ich sagte: „Ja, nach Hause“, und stieg in sein Auto – er hatte ein elegantes Buick Cabriolet. So lernten wir uns kennen.

Wer Walter Feilchenfeldt war und welche Rolle er bei Paul Cassirer spielte, wußte ich so gut wie nicht. Der Beruf des Kunsthändlers hatte für mich allerdings einen geheimnisvollen Klang, seit einmal an einem Sonntagnachmittag ein Herr aus Venedig bei meinen Eltern zu Gast gewesen war. Er hieß Adolfo Loewy und hatte als bettelarmer Jude in München begonnen, mit Kunst zu handeln. Durch seinen Spürsinn und sein Geschick brachte er es bald zu Wohlstand, und er erzählte uns beispielsweise, wie er einmal nördlich von Venedig in einem halbverfallenen Stall eine bemalte Decke gefunden hatte, die sich dann als ein Meisterwerk aus dem 18. Jahrhundert entpuppte. Als ich das hörte, dachte ich, Kunsthändler zu sein, müsse ein geradezu märchenhafter Beruf sein, und so regte es meine Phantasie lebhaft an, daß auch Walter Feilchenfeldt, in dessen elegantem Auto ich nun saß, Kunsthändler war. Er war indes ein diskreter Mensch, und ich erfuhr erst mehr über ihn, als er begann, mich in Restaurants auszuführen.

Mit einem gut 15 Jahre älteren Mann auszugehen war für mich 19-Jährige etwas vollkommen Neues, doch auch für ihn scheint die Situation etwas Ungewohntes besessen zu haben; Töchtern aus den sogenannten besseren Kreisen hatte er bislang eher ferngestanden. Dennoch ergab sich alles in selbstverständlicher Weise und war so ganz und gar positiv, daß ich es nur rückhaltlos bejahen oder weggehen konnte. Es war gewissermaßen eine Liebe auf die erste Erkenntnis, und ich denke, daß dies mehr ist als eine Liebe auf den ersten Blick.

Die unglaubliche Grete

In der Galerie Cassirer bald ein und aus gehen zu können war für mich ein besonderes Erlebnis. Das Haus der Galerie befand sich an der Viktoriastraße. Wie in einem Museum gab es dort einen Oberlichtsaal für die Ausstellungen, während sich die Handelsräume im ersten Stock befanden. In diesem privateren Rahmen traf man sich mit Kunden, zeigte ihnen Bilder und schloß Geschäfte ab. Feilchen lud mich bald dorthin ein, während das kleine Zimmer des Bilderlagers mir vorenthalten blieb.

Nach kurzer Zeit schon machte mich Feilchen auch mit Grete Ring bekannt, der Nichte Max Liebermanns, mit der er zusammen die Firma führte. Grete Ring war eine absolut ungewöhnliche Frau, die ich geliebt habe wie kaum jemanden sonst. Für ihre entwaffnende Direktheit war Grete Ring bei vielen gefürchtet, und man erlebte fortlaufend die unglaublichsten Geschichten mit ihr. Wenn jemand beim Grüßen nicht den Hut zog, konnte sie den Betreffenden spitz fragen: „Sie haben wohl Spatzen unter dem Hut?“ – worauf der Angesprochene meist fassungslos war vor Schreck. Einmal wurde sie auch in einen Beleidigungsprozeß verwickelt, weil sie einen Bekannten mit den Worten empfangen hatte: „Na, was haben Sie schon wieder für eine Schweinerei gemacht?“ Die vorausgesetzte „Schweinerei“ hätte der so Begrüßte sogar noch hingenommen, das „schon wieder“ aber war ihm zu viel, so daß er sie verklagte. In Berlin schätzte und mochte man sie zwar, hielt sie aber auch für etwas exzentrisch; erst in England, wohin sie ins Exil ging, hat man sie richtig verstanden. Feilchen allerdings kam seit je glänzend mit ihr aus.

Als ich Feilchen kennenlernte, stand die Cassirer’sche Kunsthandlung auf dem Höhepunkt, und er lebte gewissermaßen in diesem Büro. Daneben besaß er nur eine kleine Einzimmerwohnung an der Hildebrandstraße, wo all seine Bücher standen. Bilder hingen eigenartigerweise aber keine an der Wand. Tatsächlich war Feilchen auch eher Literat als Kunsthändler und ist letzteres mehr durch den Gang der Dinge als durch eigenen Antrieb geworden.

Den Krieg hatte er glimpflich überstanden, da er so klug war, sich gleich nach seiner Einberufung eine schwere Bronchitis zuzuziehen und auch weiterhin den Eindruck des Kränklichen zu machen. Er blieb deswegen in der Etappe und kam nie auch nur in die Nähe der Front. Wenn man ihn später auf seine Kriegserlebnisse ansprach, pflegte er mit einem Anflug von ironischem Stolz zu sagen, er sei nie über Jüterbog hinausgekommen. Nach Ende des Krieges vermittelte eine ältere Dame den Kontakt zu Cassirer. Auf ihre Empfehlung hin stellte sich Feilchen bei Cassirer vor, der von dem jungen Bewerber auch sehr angetan war, gleichzeitig aber bedauerte, ihn nicht anstellen zu können, da er bereits einen Mitarbeiter namens Blumenreich habe. Zuletzt aber nahm er Feilchen doch, und zwar für den Verlag.

Knappe Ferienkasse

Cassierer belehrte in jenen Nacht seinen Angestellten über die gesamte Malerei von Giotto bis Cézanne

Im Verlag war Feilchen übrigens durchaus am richtigen Ort, denn neben Nationalökonomie hatte er auch Literatur studiert, der sein eigentliches Interesse galt. Zum Wirtschaftsstudium war er lediglich gekommen, da er als Kind erlebt hatte, wie die Sommerferien der Familie immer wieder aus finanziellen Gründen in Frage standen. Sein Vater war Arzt im Alten Westen, stellte nach damaliger Sitte seine Rechnungen jährlich und hatte dann bisweilen Mühe, die Zahlungen rechtzeitig bis zu den Ferien einzutreiben. Aus dieser mißlichen Erfahrung zog Feilchen die Konsequenz, einen Beruf zu ergreifen, der Geld einbrachte. Als höchstes Ziel schwebte ihm vor, Prokurist bei Orenstein & Koppel zu werden, einer Maschinen- und Lokomotivenfabrik in Berlin. Sein Studium der Nationalökonomie schloß er folgerichtig mit einer Dissertation über die Schmalspurbahnen in Deutsch-Südwestafrika ab, doch mit dem Krieg war diese Kolonie für Deutschland ebenso verloren wie die dortigen Schmalspurbahnen für Orenstein & Koppel. Der angepeilte Prokuristenposten hatte für Feilchen aber auch dadurch an Glanz verloren, daß er während des Studiums in Heidelberg Ernst Blass und Ernst Bloch kennenlernte, die ihn in die Welt der Literatur und Philosophie hineinzogen.

Zu den ersten Büchern, die Feilchen bei Cassirer herausbrachte, zählten Blochs Essays „Durch die Wüste“ und die überarbeitete Fassung von „Geist der Utopie“. Als ich Feilchen kennenlernte, bereitete er gerade die Veröffentlichung der „Spuren“ vor, die dann eine Auszeichnung für ihre Buchgestaltung erhielten. Auf diesen Preis, den er zusammen mit dem Drucker Jakob Hegner bekam, war Feilchen zeit seines Lebens sehr stolz.

Weitere wichtige Produktionen aus Feilchens Verlagstätigkeit waren Barlachs Autobiographie „Ein selbsterzähltes Leben“ sowie zu Beginn der 20er Jahre Chagalls Mappe „Mein Leben“. Zusammen mit Chagalls Frau übersetzte Feilchen den dazugehörigen Text. Als er Liebermann von der Sache erzählte, soll dieser nur abwehrend kommentiert haben: „Zeigen Sie mir das Zeug bitte erst gar nicht; zum Schluß gefällt mir der Scheißdreck auch noch.“ Die Mappe wurde jedoch ein großer Erfolg. Ende der 20er Jahre trat der Verlag für Feilchen eher in den Hintergrund, doch blieb er der Welt der Bücher auch weiterhin stark verbunden. Er verehrte Karl Kraus (ganz im Gegensatz zu mir), kannte Leute wie Bert Brecht und Arnold Bronnen oder setzte sich intensiv für Robert Musil ein (dessen „Mann ohne Eigenschaften“ ohne Feilchens Unterstützung womöglich gar nicht hätte erscheinen können).

Der Eintritt in die Cassirer’sche Kunsthandlung muß sich indes schon in den Jahren 1922/23 vollzogen haben. Wie es dazu gekommen war, wurde mir später von verschiedener Seite gleichlautend erzählt. Danach unternahm Cassirer eines Tages eine Reise nach Wien und bat Feilchen, ihn zu begleiten. Es war eine Schlafwagen-Nacht, doch Cassirer konnte eben dies eine nicht: schlafen. So beschloß er, seinen Angestellten in die Kunstgeschichte einzuführen und belehrte ihn in jener Nacht über die gesamte Malerei von Giotto bis Cézanne. Nach diesem Schnellkurs war Feilchen für ihn Kunsthändler, als welcher er fortan auch für Cassirer arbeitete. Für Grete Ring, die eine wirkliche studierte Kunsthistorikerin war, stellte diese männliche Parforcetour natürlich eine Unmöglichkeit dar. Eine ihrer Lieblingsbemerkungen war denn auch, daß Feilchen (den sie liebte) ausgesprochen „gelehrig“ sei. Ungeachtet des ironischen Untertons hatte sie damit vollkommen recht, denn Feilchen wurde sehr rasch ein Kenner der Kunst, die ihn interessierte.