: Weihevoll
Fünf lange, auf dem Dancefloor sogar unendlich lange Jahre sind vergangen, seit die ersten drei, damals bahnbrechenden Tracks von Anstam erschienen sind. Damals zog Lars Stöwe, der sich hinter dem Namen verbirgt, eine überraschend schlüssige Quersumme aus Grime und Jungle, Techno und Gabba. Auf seinem zweiten Album, „Stones And Woods“, hat er sich zwar nicht grundsätzlich von dieser wild-verwegenen Mischung entfernt, aber er geht die Fusion doch mit sehr viel mehr Ruhe an.
Stöwe schraubt Lautstärke und Tempo herunter, vor allem aber verzichtet er weitgehend auf Knalleffekte. Stattdessen entwickeln sich die Ideen langsamer, Trommeln und Stimmfetzen verwickeln sich sorgsam miteinander, schräge Klänge bekommen ausreichend Raum, um ihren Charakter entfalten zu können. In der Konsequenz ist „Stones And Woods“ ein Album geworden, das denkbar weit von DJ-Verwertbarkeit entfernt ist. Das liegt allerdings nicht nur an den krummen Beats, deren Taktung keinem Schema folgen will, sondern vor allem daran, dass jederzeit alles möglich scheint: Von avantgardistischer Klangforschung über Anleihen bei verschiedenen Weltmusiken bis zu sehr wenigen eingängigen Melodien. Das ist nicht immer einfach zu konsumieren, folgt aber hörbar einem Konzept und hält immer wieder schöne Erkenntnisse bereit: Wusste man denn zuvor schon, dass eine Kirchenorgel und atmosphärisches Rauschen einen durchaus ähnlichen, nämlich einerseits weihevollen, andererseits beunruhigenden Effekt erzielen können?
Im Vergleich zur Fantasie, die Anstam beweist, wirkt die zwölfte Folge der „Body Language“-Reihe fast schon leblos. Dabei haben sich Catz’N Dogz, denen nach solchen Größen wie DJ Hell oder Modeselektor diesmal die Kuratorenehre zufiel, große Mühe gegeben, eine Auswahl mit viel Seele zusammenzustellen. Die Stimmung der Tracks, die das in Berlin lebende polnische DJ-Duo ausgesucht hat, ist weitgehend warm, die Geschwindigkeit rangiert im gemütlichen Arschwackelbereich und Vocals wie Samples stammen aus Soul und R & B. Die 21 Stücke haben aber vor allem gemeinsam, dass sie rhythmisch niemanden überfordern, und das ist ja auch ganz richtig so. Denn schließlich haben solche Compilations die Aufgabe, einen DJ-Mix für die Party im eigenen Wohnzimmer zu simulieren: So gesehen ist „Body Language“ Funktionsmusik, aber im besten Sinne.
THOMAS WINKLER
■ Anstam: „Stones And Woods“ (50 Weapons/Rough Trade), live am 16. 11., Berghain
■ Catz’N Dogz: „Body Language 12“ (Get Physical/Word and Sound), live am 21. 11., Watergate