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Archiv-Artikel

Reise in die Vergangenheit

Backen wie zu Ururgroßmutters Zeiten: Im Freilichtmuseum am Kiekeberg lässt sich hautnah erfahren, wie sich das ländliche Leben vor 200 Jahren gestaltete. Kinder sind besonders willkommen

von Rahel de Silva

Etwa zwanzig Acht- bis Zehnjährige sitzen an langen Tischen im Backraum und kneten Brötchenteig. Formen einen Minifladen, rollen ein „kleines Würstchen“ und ein „langes Würstchen“. Und Kugeln. Jeweils fünf davon fordert Bäckermeister Friedjoff Albers pro Kind. „Och mann, noch mehr Kugeln“, maulen einige. Doch insgesamt ist die Stimmung gut, gebührend werden die Endprodukte, Brezeln und Schildkröten, bewundert und zögerlich Bäcker Albers für den Ofen überlassen.

Backen wie zu Ururgroßmutters Zeiten – im Freilichtmuseum am Kiekeberg gehören pädagogisch begleitete Aktionen wie diese zum Standardprogramm. Auf dem Areal im Naturpark Schwarze Berge, zwischen Harburg und der Lüneburger Heide, lässt sich hautnah erfahren, wie sich das ländliche Leben vor 100 bis 200 Jahren gestaltete. Kinder, so die Museumsmacher, „sind bei uns besonders willkommen“. Doch auch Erwachsene – mit und ohne Familie – können hier schmieden und filzen, imkern, weben, Körbe flechten oder einfach nur ganz entspannt in die Vergangenheit spazieren. Etwa 180.000 Besucher zählt das Freilichtmuseum mit seinen neun Nebenstellen jährlich.

Bei den Drittklässlern der Grundschule Scheeßeler Kehre in Sinstorf dreht sich an diesem sonnigen Dienstag alles ums Brot. Mit Klassenlehrerin Kathein Niemann-Baecker haben sie im Sachkundeunterricht gerade das Thema „Vom Korn zum Brot“ behandelt. Nun übernimmt Museumsmitarbeiterin Ilse Nehrmann: „Wie wurde wohl vor 200 Jahren Mehl gewonnen“, fragt sie in die Runde. Erzählt von einer Zeit, als noch Ochse oder Pferd vor den Pflug gespannt und zum Düngen Mist auf die Felder gekarrt wurde. Weil der eine oder andere inzwischen auf seinem kleinen Hocker kippelt, folgt jetzt wieder ein praktischer Teil.

„Das Backen war toll“, kommentiert die neunjährige Fatma zufrieden. „Gleich gehen wir noch zum Dreschen, ich bin mal gepannt, wie das wird.“ In erster Linie anstrengend, weiß Fatma wenige Minuten später. Der altertümliche Dreschflegel ist schwer, die Kinder mühen sich zaghaft, einige Mutige hauen schließlich auch mal kräftig auf die Ähren. Als Ilse Nehrmann fragt, welches Getreide sie denn hier bearbeiten, kann sie mit der Antwort zufrieden sein. „Roggen!“, ruft die Gruppe fast einstimmig, und Nehrmann erklärt, dass dieser früher in der Heide besonders gut gedieh. Zur Belohnung kommt jetzt noch die Windfege zum Einsatz, die die Spreu vom Korn trennt, und alle drehen begeistert an der Kurbel.

Das Freilichtmuseum besteht seit 1953, inzwischen stehen 32 historische Gebäude mit den bäuerlichen Einrichtungen des 19. Jahrhunderts auf dem zwölf Hektar großen Gelände. Meistens wurden die alten Bauernhäuser aus der Umgebung Balken für Balken, das so genannte Fischerhaus sogar komplett Wand für Wand, abgetragen und am Kiekeberg rekonstruiert. Auch alte Nutztierrassen wie Bentheimer Landschafe, Bunte Bentheimer Schweine, Pommersche Gänse, Schleswiger Kaltblüter und Deutsches Schwarzbuntes Niederungsrind werden auf dem Museumsgelände in verschiedenen Gehegen gehalten.

Ilse Nehrmann führt die Kinder in ein Bauernhaus: Ein Raum mit Kochstelle und Flett, dem Platz im Haus, der statt mit Holzdielen mit Pflastersteinen ausgelegt ist, „weil die Bäuerin dort viel mit Wasser hantierte“, und der Dönz, der kleine Wohn- und Schlafraum der Bauernfamilie. Die Schüler mustern befremdet die karge Ausstattung. „Hier möchte ich aber nicht wohnen“, murmelt ein Mädchen.

Ganz so mühsam und ärmlich hatten sich die kleinen Sinstorfer die gute alte Zeit wohl doch nicht vorgestellt. Zum Trost knabbern einige von ihnen an der selbst gemachten Brezel. Die Schildkröte allerdings wird sorgfältig verstaut. „Die“, sagt die neunjährige Miriam voller Stolz, „zeig‘ ich heute Abend Mama und Papa.“

Das Freilichtmuseum am Kiekeberg in 21224 Rosengarten (☎ 790 17 60, www.kiekeberg-museum.de) ist täglich außer montags geöffnet. Für Kinder bis 16 Jahren ist der Besuch umsonst, Erwachsene zahlen 6 Euro. Das ganze Jahr über finden Aktionstage statt, am Sonntag, 2. Oktober, beispielsweise der Pferdetag „mit Vorführungen und Westernreiten“. Am Wochenende drauf wird – „wie zu Großvaters Zeiten“ – zum historischen Jahrmarkt geladen. Die Buslinien 340 (ab Harburg-ZOB, S-Bahn Neugraben, S-Bahn Neuwiedenthal) und 244 (Harburg-ZOB) fahren direkt zum Museum.