: Delays für Arthur
DANCE-POP Nachhaltig schön und auf interessante Weise experimentell: die britische Künstlerin Kelly Lee Owens und ihr Debütalbum
von Lorina Speder
Das Debütalbum der Londoner Produzentin und Sängerin Kelly Lee Owens überrascht die Elektronikszene: Selten werden die Grenzen des Genres so geschickt angereichert und mit verträumten Pop-Einflüssen wie Streichern und Hooklines weitergeführt. Das Album mit den behutsamen Techno-Sounds ist so erfolgreich, dass es auf Vinyl momentan gar nicht mehr lieferbar ist.
Owens, die in Wales geboren und zur Schule gegangen ist, produzierte ihre Songs selbst. Bis sie aber zu dem Punkt kam, sich auch selbst als Musikerin zu begreifen, verging einige Zeit. Da die 28-Jährige in der Kindheit kein Instrument lernte, war es für sie lange Zeit ausgeschlossen, eigene Lieder zu komponieren. Zwar fühlte sie sich der Musik immer verbunden, doch es brauchte ihre intuitive Neugier, um die Künstler zu finden, die sie bis heute prägen, ihr halfen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken.
In ihrer Kindheit war es nämlich hauptsächlich Musik im Radio, die Owens hörte. Erst im Musikunterricht an ihrer Schule entdeckte sie unkonventionelle Sounds. Etwa auf die Musik der isländischen Künstlerin Björk, die Owens wegen ihrer Kompromisslosigkeit und Stärke bewundert, wurde sie damals aufmerksam. Owens schulische Laufbahn in Wales zwang sie auch dazu, in einem Chor zu singen. Welchen Einfluss dies auf ihr eigenes Schaffen nahm, wird auf ihrem Debütalbum klar: Auch wenn die Waliserin ihren Gesang dort nicht zu sehr in den Vordergrund rückt, sondern eher als Klangfarbe einsetzt, ist ihre Stimme heute ihr Signalinstrument.
Durch die Chorausbildung sang sie schon früh unter Profibedingungen und lernte, ihrer Stimme Ausdruck zu verleihen. Neben dem Gesang seien Trommeln die bestimmenden Instrumente gewesen, mit welchen sich Owens in der Schule sofort verbunden fühlte. Daher schloss sie ihre Abschlussprüfung in Musik auch mit einer afrikanischen Trommelkomposition ab, die 50 Djembe-Spuren beinhaltete. Die Polyrhythmik, die sie sich in dieser Zeit aneignete, hilft ihr heute beim Songwriting.
Nach der Schule war ihr Interesse an der Musikszene so groß, dass sie in Manchester für Clubs und Labels arbeitete. Zu dieser Zeit entdeckte Owens auch die zeitlosen Kompositionen des 1992 an Aids verstorbenen New Yorker Cellisten und Discoproduzenten Arthur Russell auf einem alten MP3-Player eines Freundes. Der mit Echos und Delays aufgeladene Klang des Russell-Stückes „See Through“ aus den 80er Jahren begeisterte sie nachhaltig. Es ist die Einzigartigkeit des US-Avantgardisten, die Owens bewundert. Die Hommage an den Komponisten bekommt man nicht nur im zweiten Song ihres Albums – er ist „Arthur“ betitelt – zu spüren: Durch die Gesangseinlagen, die Downbeats und in Echos versickernden Sounds entsteht insgesamt eine hypnotische und geheimnisvolle Stimmung, der man sich, ähnlich Russells Werk, nicht entziehen kann.
Auch wenn Owens in Manchester viele neue musikalische Impulse bekam, war es der Umzug nach London im Jahr 2009, der ihr den Weg als Künstlerin ebnete. Nachdem ihr der Plattenladen „Pure Groove“ einen Job anbot, zog sie Hals über Kopf in die britische Hauptstadt. Dort lernte Kelly Lee Owens dann Ghost Culture und andere Protagonisten der House-Szene kennen. Daniel Avery, selbst gefeierter DJ und Produzent, erkannte Owens Talent und bestärkte sie darin, eigene Musik zu komponieren. Zuerst arbeitete sie mit ihm zusammen im Studio, bis sie sich allein ans Mischpult traute.
Durch das Experimentieren entstanden selbst veröffentlichte 12‘‘-Platten und eine EP 2016 mit einem Remix von Jenny Hvals Song „Kingsize“. Die erneute Zusammenarbeit mit der Norwegerin Hval für den Song „Anxi“ auf deren neuen Album war eine „stärkende Erfahrung“ für Owens. Ihr Selbstbewusstsein als Musikerin wächst: Inzwischen tourt sie mit ihrem neuen Album solo durch Europa und tritt als DJ auf.
Es ist, als ob Kelly Lee Owens durch ihre vielen Begegnungen in den letzten Jahren ihre wahre Leidenschaft aufdecken konnte: Am meisten schätze sie die Studioerfahrung, das Komponieren, Produzieren und Basteln an Sounds. Das sei für sie ihre persönliche Meditation, deren Verlauf mit Sicherheit noch nicht beendet ist.
Kelly Lee Owens: „Kelly Lee Owens“ (Smalltown Supersound/Rough Trade)
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