LeserInnenbriefe
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Stuttgarts wackelnde Schnurrbärte

betr.: „Der Turmbau zu Fellbach“, taz vom 27. 5. 17

Ja, so ist die Provinz – wackelnde Schnurrbärte und kippende Finanzierungen! Vollkommen unerwähnt bleibt allerdings, dass in der Randbebauung des Fellbacher Turmbaus circa 150 Mietwohnungen entstanden sind – und das im engen Stuttgarter Wohnungsmarkt. Fellbach liegt mit fünfzehn S-Bahn-Minuten näher am Zentrum als viele Stuttgarter Stadtteile.

Infrage gestellt werden müssen die Strukturen, die solche Fehlentscheidungen ermöglichen. Der Turmbau ist dafür lediglich ein weithin sichtbares Zeichen. Viel gravierender ist der wahnsinnige Flächenverbrauch an der Peripherie, wo jährlich ein neues Gewerbegebiet mit Möbelmarkt, Gartencenter, Küchenparadies und Baumarkt ausgewiesen wird.

Die kleinteiligen kommunalen Strukturen im Großraum Stuttgart haben viele Vorteile: hohe Identifikation der Bürger mit ihren Kommunen, unbürokratische plus bürgernahe Verwaltungen, schnelle Entscheidungswege. Ein schrecklicher Nachteil ist jedoch die Fixierung auf das eigene Stadtgebiet. Der Regionalverband Stuttgart (mit gewähltem Parlament und 2,7 Millionen Einwohnern) sollte diese Entwicklungen eigentlich steuern, hat sich jedoch als zahnloser Tiger erwiesen. Hier hätte eine grüne Landesregierung und ein grüner Stuttgarter Oberbürgermeister Impulse geben müssen. Stattdessen will sich OB Kuhn mit einer Stuttgarter Philharmonie im S-21-Gelände ein Denkmal setzen. Und die Entwicklung neuer Stuttgarter Wohnbauflächen (Neckarpark) schreitet nur im Schneckentempo voran.

MARTIN MENDE, Fellbach

Boykottiert nicht, hört zu!

betr.: „Mit dem Täter reden“, taz vom 14. 5. 17

Thordis Elva schreibt ein Buch über Vergewaltigung. Mithu M. Sanyal schreibt ein Buch über Vergewaltigung. Und alle rasten aus: Tausende Menschen unterschreiben Petitionen, um Auftritte zu verhindern, manche Menschen verschicken Vergewaltigungsdrohungen. Was ist da los? Feminist*innen aller Lager sind wütend, aber worüber genau? Dass Elva eine selbstbestimmte Entscheidung getroffen hat, um eine lange mit sich herumgetragene Verletzung anzugehen? Dass sie versucht, Gründe und Hintergründe zu verstehen, um zukünftige sexuelle Übergriffe zu verhindern?

Wer vor der Royal Festival Hall ruft: „Holt den Vergewaltiger raus!“, scheint Gefahr zu laufen zu denken, Vergewaltiger sei man oder sei man nicht. Und wer einer ist, ist es für immer und war es vielleicht quasi schon von Geburt an. Meistens geht man dann noch davon aus, dass es nur Männer wären, die ihre Instinkte nicht kontrollieren könnten. Aber – wo kommen wir hin, wenn wir das zu Ende denken? Ich könnte das noch weiterspinnen – aber lasse es lieber. Vielmehr wollte ich mich an dieser Stelle für Sanyals Beitrag bedanken. Danke fürs Klarstellen, was Elva immer wieder sagt, aber anscheinend nicht gehört wird (werden will). Danke für die ausdauernde Wiederholung von Gesagtem. Liebe Feminist*innen und/oder Kämpfer*innen für eine bessere Welt: Sind wir uns nicht eigentlich einig darüber, dass Frauen selbstbestimmt entscheiden sollten, über sich, ihren Körper, ihre Gefühle? Boykottiert nicht, hört endlich zu!

IRINA NEKRASOV, Leipzig

Die Kartenhäuser der Religionen

betr.: „Nach uns die Sintflut“, taz vom 24./25. 5. 17

Starke klare Worte, die mich begeistern. Besser kann man den Mummenschanz nicht bloßstellen. Solche Gedanken müssten die Kartenhäuser – auch „Denk“-Gebäude genannt – aller Religionen und Religiösen wegblasen. Einmal pro Woche, besser täglich – solange es nötig ist – sollte die taz Uli Hannemann eine Seite einräumen für den guten Zweck der Aufklärung. Hannemann, geh Du voran. GERT GROPP, Berlin

Wahnideen vom Religiösen

betr.: „Nach uns die Sintflut“, taz vom 24./25. 5. 17

Liebe tazler/innen, als Teilnehmerin wollte ich Ihnen eigentlich für Ihre differenzierten, vielseitigen Beiträge zum Kirchentag danken. Doch der Artikel „Nach uns die Sintflut“ vom 24./25. 5. überdeckt bei mir die anderen guten Beiträge. Die Auslassungen von Uli Hannemann sind unter aller Würde, ja, unter der Gürtellinie, einfach beleidigend und teilweise auch falsch.

Zunächst das Schlimmste: Der Vergleich mit den Besatzern von Paris ist eine unerträgliche Entwürdigung aller Opfer.

Und die Fakten? Die Schulkinder haben nur einen Tag wegen des Kirchentags frei gehabt, lächerlich im Vergleich zu den vielen Stunden, die wöchentlich durch fehlende Lehrer ausfallen. Die Verlegung der Pfingstferien geschah wegen des Deutschen Sportfestes. Es ist deutlich, dass Uli Hannemann auf jede ernsthafte Recherche verzichtet hat und wallende Röcke, Klampfen, sperrige Zahnspangen, fehlendes Deo, frömmelnde Weiber und seine anderen Wahnvorstellungen schon vor dem Kirchentag hatte.

Hoffentlich hat er sich unterdessen erholt, sonst wird er gänzlich krank, wenn er den vom Sportfest in die Schulen (ihre Unterbringungsstätten) Fahrenden, nicht frisch mit Deo Eingesprühten in der U-Bahn begegnet. Und da wir schon beim Sport sind: Offensichtlich ist Herrn Hannemann entgangen, dass es nicht nur Leute gibt, die nicht in der Kirche sind, sondern auch solche, die sich nicht für Fußball interessieren. Und die fragen sich Woche für Woche, wieso sie eigentlich mit ihren Steuern das Polizeiaufgebot mitfinanzieren, das für Ruhe in den Stadien und um sie herum sorgt. So viel zur Bezuschussung.

INGEBORG GRINGMUTH-DALLMER, Berlin