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Ein historisches Drama

FIGUR Sehenswert und gut kuratiert: Die Schau „Alfred Flechtheim. Kunsthändler der Moderne“ erzählt von der Bildhauerei im (frühen) 20. Jahrhundert genauso wie vom Kunsthandel

Rudolf Belling, Portrait von Alfred Flechtheim, 1927 Foto: Berlinische Galerie

von Katrin Bettina Müller

„Man nehme sehr viele schöne Frauen, fünf Mitglieder der Haute-Banque, mehrere andere Bankiers, je fünf prominente Schauspielerinnen, Tänzerinnen und mehrere berühmte Rechtsanwälte, Dichter, Parlamentarier, Frauenärzte, Boxer, etwas von der Konfektion, Matratzen, die Sintenis und die Hatvany, drei Schnapsfabrikanten, Erik Charell …“, die Aufzählung der Zutaten, die zu einem guten Fest bei Alfred Flechtheim gehörten, sind damit noch längst nicht zu Ende. Das Rezept erschien 1924 in der Zeitschrift Querschnitt, die der Kunsthändler Alfred Flechtheim begründet hatte, nicht zuletzt, um seiner Kunst in der mondänen Welt einen Auftritt zu verschaffen.

Eine leichte Aufgabe war das nicht, und einmal wurde Flechtheim grundsätzlich und beklagte sich, 1931, unter der Überschrift „Die Einbahnstraße“: „Außer der Tilla Du­rieux, der Eckersberg und Willy Schäffers, der Aquarelle sammelt, hat kaum ein Schauspieler, trotz der Star-Gagen, die manche bekommen, irgendeine meiner Ausstellungen besucht, oder gar mal was erworben.“ Noch immer richte sich die feine Gesellschaft mit Stilmöbeln und gotischen Madonnen ein.

Nachzulesen sind die Zitate in dem Buch „Sprung in den Raum“, das kenntnisreiche Texte über die Bildhauer, mit denen Flechtheim arbeitete, versammelt. Herausgegeben hat das Buch Ottfried Dascher, von dem 2011 eine Biografie über Flechtheim erschienen war. Viele Museumsleute und Kunsthistoriker stellten daraufhin fest, dass man über Flechtheims Zusammenarbeit mit Bildhauern und seinen Einfluss auf die moderne Skulptur längst noch nicht so viel wusste wie im Gebiet der Malerei. Von dort nahmen dieses Buch und eine Ausstellung im Georg Kolbe Museum, der ersten großen Einzelausstellung, die in Berlin diesem Galeristen gewidmet ist, ihre Entstehung.

Die Berliner Bildhauerin René Sintenis, die ob ihrer Schönheit und ihres androgynen Stils auch zu den meistfotografierten Frauen der Kunstszene damals gehörte, schenkte Flechtheim zu seinem 50. Geburtstag 1928 die Skulptur eines großen, springenden, zotteligen Bocks. Er ist nun ebenso im Kolbe Museum zu sehen wie ein grasendes Fohlen, das ab 1929 vor Flechtheims Berliner Galerie am Lützowufer aufgestellt war. Ihre Tierplastiken verkaufte Flechtheim an zahlreiche öffentliche und private Sammlungen. Das war für beide nicht nur geschäftlich erfreulich; sondern man kann Sintenis’ Rehe, Fohlen, Tänzer und Boxer auch als leicht zu vermittelnde Botschafter einer Kunst sehen, der der Boden noch längst nicht geebnet war.

Sieht man heute zwei der kleinen Bronze-Tänzerinnen von Edgar Degas in der Ausstellung, glaubt man kaum, dass Degas die Arbeit daran bis zu seinem Tod 1917 fast geheim gehalten hatte im Atelier, nachdem eine Skulptur eines jungen Mädchens von ihm 1881 als „häßlich“, „sittenlos“ und „Bedrohung der Gesellschaft“ kritisiert und abgelehnt worden war. Die nach Degas’ Tod entdeckten Wachsmodelle vieler Kleinplastiken wurden erst posthum in Bronze gegossen. Flechtheim sicherte sich die Rechte am Vertrieb in Deutschland und hatte 1926/27 schon sieben deutsche Museen dafür gewonnen. Obwohl er an den Museumsverkäufen gar nicht so gut verdiente, kämpfte er darum, um seine Künstler publik zu machen.

Edgar Degas, „Kleine Tänzerin“ Foto: Staedel Museum Frankfurt

Von Rudolf Belling ist in der Ausstellung sowohl sein „Dreiklang“ von 1919 zu sehen, berühmt ob der abstrakten Fassung für eine bewegte Dynamik, die spitz und kraftvoll den Raum angreift, als auch figürliche Skulpturen, wie ein Porträt des Boxers Max Schmeling, die zu Bellings meistverkauften gehören sollte. Dass die simple Gleichung, die figürliche Skulptur für traditionell zu halten und nur in der Abstraktion die Moderne zu sehen, eine sehr beschränkte Sichtweise ist, ist ein Subtext der Ausstellung. Suchten doch viele der von Flechtheim vertretenen Bildhauer gerade die menschliche Figur aus den repräsentativen Kontexten zu lösen. Im Akt und im Torso, in schlichter Linienführung und großer Reduktion suchten sie nach etwas in seiner Existenz, was Geschichte und Moden vorausging. Barlach, Lehmbruck, Kolbe sind dafür bekannt.

Doch auch bei dem Franzosen Aristide Maillol (1861–1944) findet man diese Suche, im Frühwerk von Arno Breker, der Maillol verehrte und sich thematisch und formal an ihm orientierte, und bei Moissey Kogan, einem kaum bekannten russisch-jüdischen Bildhauer, der 1943 im Vernichtungslager ­Auschwitz starb. Die Skulpturen der drei begegnen sich im großen Lichtsaal des Museums und erzählen eine Geschichte von Förderung, Freundschaft, Verehrung, Verrat und Verleugnung. Arno Breker, der Mitte der 1920er Jahre als Nachwuchshoffnung der rheinischen Kunstszene galt, wurde von Flechtheim gefördert, ebenso wie Moissey Kogan. In Paris lernten sich die beiden Bildhauer kennen, jeder schuf ein ausdrucksstarkes Porträt des anderen.

Mit dem Aufstieg von Breker zum großen Propagandakünstler der Nationalsozialisten, die die Figur wieder zu heroisieren begannen, veränderte sich das Verhältnis zu Flechtheim abrupt, Breker strich ihn aus seiner Biografie; erst 1947, als es um die Entnazifizierung ging, erinnerte sich Breker wieder, dass Flechtheim ihn vertreten hatte. Moissey Kogan wurde dagegen unter die „entartete Kunst“ sortiert, mit nachhaltigen zerstörerischen Folgen. Sein Werk ist zum Großteil verschollen; nur durch Abbildungen, auch aus Flechtheims Publikationen, weiß man von ihnen.

Klein ist der Torso von Moissey Kogan (1927/28) in der ­Ausstellung, sehr verletzlich sein Bild des Menschen. Durch eine komplizierte Technik von Stein- und Zementguss erreichte er, dass die Steinhaut atmet, porös ist, das Licht weicher empfängt. Aus den kurzen Wandtexten zu den Skulpturen gehen noch mehr solcher Dramen hervor.

Renee Sintenis: „Der Läufer“ Foto: Bildarchiv Georg Kolbe

Ein kleiner Raum gilt schließlich der Biografie von Flechtheim selbst, der wenige Jahre nach seiner Emigration 1933 im Exil in London starb. Er war nicht nur als Jude diffamiert worden und zu einer Symbolfigur für die „entartete Kunst“ gemacht worden, sondern mit seiner Karikatur war die antisemitische Propaganda richtig beheizt worden.

Unter den biografischen Zeugnissen liegt auch ein Vertrag mit dem Bildhauer Ernst Barlach, Ausweis auch der Impulse, mit denen ein Kunsthändler einem Werk den Weg bahnen konnte. Geregelt wird eine 10er-Auflage von 16 Skulpturen, deren Gusskosten der Galerist vorfinanzierte. Mit dem Gewinn aus den verkauften Skulpturen konnte Barlach ein Hausbauprojekt angehen.

Man merkt an dieser Ausstellung, dass die Geschichte des Kunsthandels enorm spannend ist. Schon deshalb haben Julia Wallner, die Direktorin des Kolbe Museums, und ihr Co-Kurator Jan Giebel gut daran getan, die Geschichte von Alfred Flechtheim und seinen Bildhauern so zu erzählen.

Ausstellung bi 17. September im Kolbe Museum, tägl. 10 bis 18 Uhr. „Sprung in den Raum. Skulpturen bei Alfred Flechtheim“, hrsg. von Ottfried Dascher, 440 Seiten, 116 Abbildungen, Nimbus Verlag 2017, 44,80 Euro

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