piwik no script img

Den Klängen eine Bühne

Aktuelle Musik Eigens für den jeweiligen Ort haben zehn Hamburger für das Projekt „Soundcaching“ Musik geschrieben. Bergen kann man die Klangschätze beim Festival „Blurred Edges“ mit dem eigenen Smartphone

von Robert Matthies

Man muss erst mal ganz genau hinsehen, um dann ganz genau zuhören zu können. Quer durch die Innenstadt versteckt liegen die zehn Hörpunkte, an denen ab Freitag zum Auftakt des Projekts „Soundcaching“ jede/r mit dem eigenen Handy einen kleinen Hörschatz bergen kann. Erkennen kann man sie nur an kleinen Aufklebern, auf denen die Internetadresse steht, unter der die Klänge gestreamt werden.

Eigens für den Ort komponiert, geschnitten, bearbeitet und abgemischt haben die Hamburger Klangkünstler und Komponisten Felix Kubin, Manuel Schwiers, Marc Richter, Sergio Vásquez Carillo, Gregory Büttner, Gunnar Lettow, Michael Maierhof, Heiner Metzger, Benjamin Scheuer und Manfred Scharfenstein jeweils einen der „Soundcaches“.

Scharfenstein ist auch einer der beiden Initiatoren des Projekts. Ausgedacht hat der Dramaturg und Komponist sich die ungewöhnliche musikalische Inszenierung, die den öffentlichen Raum als Bühnenbild für ein vielstimmiges Klangbild der Stadt nutzbar machen möchte, gemeinsam mit dem Designer und Klangkünstler Jan Dietrich. In den vergangenen Jahren haben die beiden bereits ganz ähnliche Projekte für den „Kultursommer am Kanal“ in Lauenburg realisiert. Mitten im Wald konnte man da Klanginstallationen finden, die mit dem Blätterrauschen und dem Gezwitscher der Vögel einen Dialog eingingen. Nun findet das Geocaching für Klänge und Musik erstmals im urbanen Raum statt.

Dahinter stecke ein künstlerisches Interesse an den Chancen, aber auch den Risiken von Technologien wie Smartphone und GPS-Satelliten, die Klänge und Kommunikationsströme immer und überall verfügbar machten, sagt Dietrich – und andererseits die Frage stellten, wie bewusst wir heute, wo viele ohnehin permanent mit dem Kopfhörer auf den Ohren unterwegs sind, mit Klängen und Musik umgehen.

„Wir entbinden die Leute sozusagen von der Verantwortung, permanent ihren eigenen Soundtrack zu hören und bieten etwas ganz Konkretes und Genaues“, sagt Scharfenstein. Es sei eine Entscheidung, den Raum, auch den sozialen Raum ganz bewusst im Hier und Jetzt wahrzunehmen und nirgendwo anders zu sein. „Wir kritisieren nichts, aber wir stellen zur Diskussion: Was passiert mit uns, wenn wir permanent Musik hören, was passiert, wenn wir uns bewusst für einen Hörmoment entscheiden?“, sagt Dietrich.

Nicht nur um das Verhältnis von Raum, Aufmerksamkeit und Klang geht es also, sondern auch um eine abstrakte und meist unwahrnehmbar bleibende technische Infrastruktur und darum, was sie für unseren Umgang mit Geräten und den Konsum von Inhalten bedeutet. „Was macht das mit uns?“, fragt Dietrich, „und was macht das mit dem sogenannten Content, also der Musik?“

Deshalb sind auch die Koordinaten der Orte nicht zufällig ausgewählt, sondern zeichnen die Bodenspuren der Flugbahnen von GPS-Satelliten nach. Dafür haben Dietrich und Scharfenstein gemeinsam mit der Sternwarte Hamburg eine theoretische Bodenspur errechnet, die den Breitengrad 53,5°, auf dem Hamburg liegt, in einem Winkel von +/-23,2° schneidet.

„Soundcaching“ soll den öffentlichen Raum als Bühne für ein vielschichtiges Klangbild der Stadt nutzbar machen

Die zehn Hörpunkte, die nun ab Freitag im Rahmen des Festivals „Blurred Edges“ zu hören sein werden, sind dabei nur der Auftakt. „Die Idee ist, diese Musik langfristig in die Stadt zu schreiben“, sagt Scharfenstein. Im Verlauf der kommenden Monate sollen weitere Caches folgen und über die Jahre soll schließlich eine großflächige Klanginstallation entstehen, die die hörbare Vielfalt der Stadt dokumentiert.

Im ganzen Stadtraum auf akustische Entdeckungsreise zu gehen, darum ging es beim Festival „Blurred Edges“ ohnehin von Beginn an. Initiiert vom Verband für aktuelle Musik Hamburg (VAMH) und ganz bewusst nicht von einem Kuratorium programmiert, sondern dezentral von den verschiedenen Akteur*innen der Szene organisiert, versteht sich das Festival als konzertierte Aktion, um die Einkapselung der lokalen Szene für experimentelle Musik aufzubrechen und auch nach außen mit „Blurred Edges“ – mit „unscharfen Rändern“ – zu versehen.

Und ausdrücklich bis heute auch als politisches Statement. Nicht nur gegen eine Kulturpolitik der Stadt, die aktuelle Musik weiterhin stiefmütterlich behandelt, sondern auch für einen anderen Blick auf und ein anderes Gehör für die Welt und die in ihr liegenden Möglichkeiten.

Von Freitag bis zum 19. Juni präsentiert das Festival zum zwölften Mal an 30 Orten in der ganzen Stadt mit Konzerten, Lesungen, Filmen und Ausstellungen analoge, elektroakustische und elektronische, komponierte und improvisierte experimentelle Musik und Klangkunst.

„Blurred Edges“-Festival: Fr, 2. 6., bis So, 18. 6., Infos auf: www.blurrededges.de

Die GPS-Daten der Hörorte sowie Hinweise und Tipps zum Finden und Abspielen finden sich unter www.maupi-art.com/2017/03/11/soundcaching-blurred-waves/

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen