piwik no script img

Die Übersetzung von Technik in Handwerk

Ausstellung Die Galerie Mitte zeigt winzige Tuschezeichnungen von Lisa Wilkens. Ihre Motive hat sie ausgedienten Arbeitslehrbüchern entnommen, in denen diese als Fotografien abgebildet waren

Es ist alles fordernd und präzise in der Galerie Mitte – der Raum, die Werke und der Titel. „Human Problems in Industry“ ist der Titel der aktuellen Ausstellung der 1978 in Berlin geborenen Lisa Wilkens. Vorherrschend im Galerieraum ist die weiße Farbe von Wänden, Boden und Decke.

Ausgestellt sind sechs winzige Tuschezeichnungen, mehr als großzügig gehangen. Die kleinen Werke haben Platz und ihr Bezug aufeinander ist auf den Kopf der Betrachter angewiesen, optisch ist da nichts zu machen. Entsprechend dem Platz, der den Tuschezeichnungen eingeräumt wird, erfordern sie vom Betrachter Zeit, um erfasst, verstanden und zueinander in Bezug gesetzt zu werden.

Was also ist auf den Blättern zu sehen? Der Titel weist bereits darauf hin, dass industrielle Arbeit ein Thema der künstlerischen Arbeit ist. Man sieht Hände, die an Gegenständen etwas verrichten: ein Rahmen wird gehalten, Klötzchen aufeinander gestapelt, Stäbe aneinander geführt und Fäden durch die sauber gereihten Löcher einer Platte gezogen. Das alles könnten spielerische Handlungen sein, so fremd und entrückt wirken die Szenen. Da die antiquierten Arbeitsvorgänge hier nicht als solche zu erkennen sind, bleibt ihnen die nostalgische Verklärung erspart.

Wilkens, die in Zürich, London und Cambridge Druckgrafik und wissenschaftliche Illustration studierte, hat ihre Motive ausgedienten Arbeitslehrbüchern entnommen. Dort waren sie als Fotografien zu finden. Wilkens übersetzt somit technische in handwerkliche Arbeit. Darin genau liegt das Entfremdungsmoment, das die in diesem Jahr entstandene Zeichnungsserie ausmacht.

Dabei geht es natürlich auch um das Verhältnis von Handzeichnung und Fotografie. Erstere verbindet man heute eher mit künstlerischer Arbeit. Und das, obwohl technische Entwürfe im industriellen Zeitalter mit der Hand gezeichnet wurden. Besonders aber das Genre der dokumentarischen Zeichnung, die ebenfalls operativ ist, und die man heute nur noch aus der Gerichtsreportage kennt, ist in Vergessenheit geraten. Wenn man heute solcherart operative Darstellungen statt grafisch oder fotografisch in Tusche umsetzt, dann ist naheliegend, dass man zunächst nicht versteht, worum es sich dabei handelt.

Und dann gibt es keine andere Wahl, als sich auf das Dargestellte selbst einen Reim zu machen, den kleinen Szenen unbekannter Tätigkeiten einen Sinn zu geben – möglicherweise einen fern von Arbeit.

Radek Krolczyk

Die Ausstellung ist bis zum 11.6. zu sehen

Der Autor ist Betreiber der Galerie K‘

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen