: Die Spannung der Stille
KlaviermusikLamberts Kompositionen sind eingängig, knackige Refrains sucht man jedoch vergeblich. Am Samstag präsentiert der Pianist, der stets maskiert auftritt, sein neues Album im Silent Green
von Stephanie Grimm
Klaviermusik boomt. So füllte etwa Max Richter vergangenen Jahr drei Nächte in Folge das Kraftwerk Mitte mit gut 400 Menschen, um sie mit seinem Ensemble in den Schlaf zu spielen. Pop-Prominenz steht beim experimentierfreudigen Berliner Nils Frahm Schlange zwecks Zusammenarbeit. Und die Vorreiter der Szene, der Klavierpräparator Hauschka oder der vormalige „worst MC“ Chilly Gonzales, der bereits 2004 ein erstes „Solo Piano“-Album herausbrachte, locken nach wie vor ein junges Publikum in Clubs und zu Hochkultur-Spielstätten.
Mit melancholischen, oft romantisch, gelegentlich minimalistisch angehauchten Pianostücken ist auch Lambert bekannt geworden. Klavier hat er „schon immer“ gespielt, erzählt der gebürtige Hamburger, aufgewachsen sei er in einem Haushalt, „in dem nur klassische Musik zählte“. Vorübergehend studierte er an der Musikhochschule, eher erfolglos.
Als ein Vertreter des Neoklassikbooms sieht er sich jedoch nicht. „Die Musik, die mir etwas bedeutete, war immer Pop. Deswegen nenne ich auch meine Musik Pop.“ Hmm. Lamberts Kompositionen sind eingängig, knackige Refrains und Hooklines sucht man in seinen Stücken vergebens. „Okay, dann eben Klaviermusik!“ Er fände es jedenfalls anmaßend, sich als „klassischen Pianisten“ zu bezeichnen, „aus Respekt vor richtigen Pianisten“. Und fügt hinzu: „Wie ich Songs schreibe, hat eher mit Songwriting zu tun als mit Kompositionslehre.“
In einem anderen Punkt ist er jedoch definitiv „Pop“. Lambert hat Entertainerqualitäten und sieht das Unterhalten auch als Aufgabe – obwohl (oder gerade weil) seine Musik etwas melancholisch wirkt. „Gerade bei introvertierter Klaviermusik geht es immer auch um die sensible Künstlerpersönlichkeit, die über das Klavier Gefühle in die Welt trägt. Dieses Klischee will ich auf keinen Fall erfüllen. Was ich mache, geht nur, wenn ich mich nicht zeige. Das wurde mir schnell klar.“
Deshalb geht er nicht ohne Maske auf die Bühne. Optisch erinnert die an eine Antilope, tatsächlich entstammt sie der sardischen Folklore und stellt ein Rind mit Riesenohren da. Eine tiefere Bedeutung muss man nicht suchen, sie gefällt Lambert einfach. Und erfüllt ihren Zweck: „Ich muss nicht ich selbst sein“, erklärt er kokett.
Doch ganz egal, wer da nun von der Bühne kommuniziert: Lamberts Konzerte haben Unterhaltungswert, die Moderationen etwas fast Comedianhaftes.
Sein ganz eigener, geschmeidiger, dabei bewusst unperfekter Sound hat Wiedererkennungswert, ist jedoch schwer einzuordnen. Wohl auch deshalb hat es an der Musikhochschule seinerzeit nicht funktioniert: „Man bewegt sich dort in festen Strukturen. Ich war nie gut darin, der Einteilung in Klassik oder Jazz zu folgen. Außerdem kann ich nur gut spielen, was ich selbst geschrieben habe.“
Letzteres stimmt allerdings nicht ganz. Aufmerksamkeit bekam Lambert anfangs vor allem für seine Reworks, reduzierte Coverversionen ganz unterschiedlicher Künstler: von Moderat („Bad Kingdom“) über David Bowie („Art Decade“) bis zu den Beatsteaks („Gentleman Of The Year “) reicht die Bandbreite. Die Reworks entstanden daraus, dass es zunächst nicht gut lief mit der Aufmerksamkeit für sein Albumdebüt „Lambert“: „Um mich zu trösten, habe ich beim Musikhören einfach ein bisschen mitgespielt. Das hatte etwas Meditatives“ – und brachte ihm Aufträge. Plötzlich lief es, auch mit anderen Auftragsarbeiten, etwa dem Soundtrack zur Tragikomödie „Hedi Schneider steckt fest“. Das hielt ihn so auf Trab, dass er nur noch nachts Zeit für Eigenes hatte.
„Stay In The Dark“ hieß das zweite Album dementsprechend. Für die Nachtarbeit gab es nicht nur pragmatische Gründe: „Gespräche etwa sind auch anders als tagsüber – und das liegt wohl nicht nur dran, dass man Bier statt Kaffee trinkt. Leute können sich eher einlassen auf etwa Losgelöstes. Die Welt draußen leuchtet nicht mehr, deswegen ist sie auch nicht mehr so da.“
Er hat es dann auch ausprobiert, die Stücke tags und nachts aufgenommen. Und obwohl er tagsüber technisch fitter war: „Diese spezielle Mischung aus Ruhe und Spannung habe ich da nicht gefunden. Das macht die Nacht aus.“ Als gute Balance zwischen Spannung und Ruhe: so könnte man auch Lamberts Songwriting umschreiben, wenn die Stücke schon kaum kategorisierbar sind.
Es klingt beiläufig, nach einem beiläufigen Stolpern zu Serendipitätsmomenten, wie Lambert seinen Werdegang schildert. Auch, wie er zu seinem speziellen Sound kam. Eigentlich mochte er das Klavier nicht besonders, das bei ihm zu Hause herumsteht. Eines späten Abends kam ein befreundeter Klarinettist vorbei. Die beiden wollten zusammen spielen, den Nachbarn zuliebe dämpfte er das Instrument mit Moderatorfilz: „Die Höhen fielen weg und mein scheppriges Klavier hatte plötzlich einen Klang, den ich inspirierend fand.“
So einfach kann es sein. Nein, ein Übermaß an Introspektion oder bedeutungsschweres Künstlerpathos strahlt dieser Pianist nicht aus. Und eine so uneitle wie einfache Erklärung, warum derzeit ein klassikfernes Publikum ihm und den anderen Pianisten so gerne zuhört, hat er auch anzubieten: „Wenn man Musik im Internet hört, ist man nie richtig bei der Sache. Ein Klavierkonzert zwingt das Publikum dazu, sich einzulassen. Außerdem ist es für die Leute spannend, nachzuvollziehen, woher der Klang kommt. Bei elektronischer Musik etwa weiß man das oft nicht.“
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