piwik no script img

Aus Fehlern lernenoder auch nicht

AUSSTELLUNG Sigmar Polke zählt nach wie vor zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart – eine Kollektionvon Editionen im me Collectors Room zeigt, wie experimentier- freudig der 2010 gestorbene Collagist und Maler arbeitete

von Ann-Kathrin Liedtke

Vergrößern bis ins Unkenntliche, ätzen, schneiden, sprühen, kleben – Sigmar Polkes Kunstwerke zeigen vor allem eins: experimentelle Neugier. Polke, der 2010 gestorben ist, gehört nach wie vor zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart. Seine Werke sind geprägt von Ironie, dem Changieren zwischen Realität und Fiktion, der immerwährenden Suche nach neuen Techniken.

Eine gesammelte Edition von Sigmar Polke ist derzeit im me Collectors Room zu sehen. Die rund 200 Arbeiten stammen aus der Kollektion Kunstraum am Limes. Im Gespräch erläutert Kuratorin Tereza de Arruda, es habe über zehn Jahre gedauert, die Sammlung zu vervollständigen. Alle in der Ausstellung zu sehenden Werke existieren dabei nur ein Mal: Durch eine Veränderung der Bildebenen oder der verwendeten Materialien wurde jedes zu einem Unikat.

„Ich habe eine Idee. Mal schauen, ob ich dafür was finden kann“ – mit diesem Spruch wird Polke zitiert, der eine ganze Lagerhalle voller Materialien hatte, aus denen er schöpfen konnte. Bis einige Objekte und Stoffe zum Einsatz kamen, dauerte es allerdings manchmal Jahrzehnte.

So auch im Falle von „Sauberes Auto – gute Laune“ aus dem Jahr 2002. Bei einer Auflage von 66 Editionen haben es gleich sechs der Werke in die Sammlung geschafft. Auf Brokat, Blümchen- oder Schlangenhaut-Stoff gedruckt, bildet die Grundlage immer dasselbe Foto: eine Hand, die auf eine Klingel drückt. Im Hintergrund ist sie vervierfacht zu sehen. Im mittleren Feld sind jedoch verschiedene Motive abgebildet: einmal eine Porzellanpuppe, ein anderes Mal eine Familie beim sonntäglichen Autowaschen – ein Bild, das aus einer Raiffeisen-Werbung der siebziger Jahre stammt und erst 30 Jahre später von Polke verarbeitet wurde.

Hier sieht man, dass Polkes Arbeiten sich durch eine Kritik an der aufkeimenden Konsumgesellschaft der Bundesrepublik auszeichnen. Der Künstler, der gerne und häufig Motive aus der Alltagskultur und Werbung nutzte, gilt daher als eine Art deutsche Antwort auf die US-amerikanische Pop Art. Diese Referenz zeigt sich nicht nur inhaltlich, sondern auch im besonderen Umgang mit seinen Materialien.

Mike Karstens, der zehn Jahre lang als Drucker und Galerist eng mit Polke zusammenarbeitete, berichtet im Vorfeld der Ausstellung von einem gemeinsamen Urlaub mit dem Künstler auf Zypern. „In einer Zeitung fand er an einem Kiosk einen Druckfehler, der wohl daraus resultierte, dass die Druckerplatte kaputt war. Danach ist er jeden Tag zu diesem Kiosk gelaufen, um zu schauen, ob der Fehler noch da war“, erzählt Karstens, „und hat sich einfach diebisch darüber gefreut!“ Aus dem Druckfehler machte Polke gleich drei eigene Werke: „Flopp“, „Hopp“ und „Topp“ sind bis ins Extreme vergrößerte Ausschnitte der weiß gebliebenen Flecken. Aus den ursprünglich briefmarkengroßen Zeitungsausschnitten wurden 50 mal 70 Zentimeter große Kunstwerke in Schwarz-Weiß. Übrig blieb vom ursprünglichen Bild nur der sogenannte Polke-Effekt – eine punktuelle Rasterung, die an das markante Stilelement der Pop Art erinnert.

Es seien gerade diese Fehler gewesen, die den Künstler besonders interessiert und inspiriert hätten. Im Editionswerk sehe man deswegen auch den Mut, den Sigmar Polke bewiesen habe, so Kuratorin de Arruda. „Er traute sich an neue Techniken, an neues Material heran.“

Polkes Werke sind geprägt von Ironie, dem Changieren zwischen Realität und Fiktion, der immerwährenden Suche nach neuen Techniken

Diesen Mut scheint in der Ausstellung vor allem „Der Kuchen ist alle?“ von 2006 widerzuspiegeln. Grundlage bildet ein Material, das wohl viele aus dem Bastelladen kennen: eine glitzernde, selbstklebende Folie in Silber, Rot, Blau oder Grün. „Das ist eigentlich ein ziemlich schnödes Material“, meint Karstens. „Ich habe die Folien auf einer Messe gefunden und Polke mitgebracht. Er war begeistert.“

Die achtteilige Serie erzählt, einem Comic ähnelnd, eine kurze Geschichte. Vom Künstler, der vom Schreibtisch auszog, einen Tag am Strand verbringt und schließlich mit einem Stück Kuchen wieder zurück am Schreibtisch landet.

Wie ein Alchemist setzte Polke seine Variationen um. Die Ausstellung zeigt dessen vielfältigen Umgang und Analyse ganz trivialer und alltäglicher Szenen des Lebens. Die Aussage der Werke bleibt dabei immer offen. Polke selbst äußerte sich dazu nie.

„Sigmar Polke – Die Editionen“, me Collectors Room Berlin, Auguststraße 68, Mitte, noch bis 27. August. |Talk mit Anna Polke und Erhard Klein: 17. Mai,19 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen