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Katharsis im Onlineshop

Faust 2.0 Lange Nacht der Ideen in Berlin mit digitalem Goethe-Event

Da steh ich nun. Schummrig ist es in Mephistos Shoppinghölle im Goethe-Institut zu Berlin bei diesem Game-Event im Rahmen der „Langen Nacht der Ideen“, in der sich die staatliche auswärtige Kulturpolitik mit ausgewählten Projekten präsentiert. Der Akkubalken meines Smartphones neigt sich gen Rot, das WLAN ist instabil. Keine optimalen Voraussetzungen für die Teilnahme an der virtuellen Inszenierung „Being Faust – Enter Mephisto“, die das Goethe-Institut Seoul in Koproduktion mit Spieleentwickler Nolgong und Dramaturg Benjamin von Blomberg entwickelt hat.

Zu Beginn suchen die Teilnehmer*innen aus zwölf Werte-Karten (Freiheit, Liebe, Familie, Fortschritt, Wollust, Wissen, Ruhm, Macht, Jugend, Schönheit, Reichtum, Glaube) die sechs für sie wichtigsten aus, ordnen sie nach Priorität und tippen sie in das eigene Smartphone. Dann erklärt der leibhaftige Moderator des Abends, ein Mephisto mit Erfahrung im Teleshopping, worum es geht: In der Rolle eines Faust 2.0 soll ich Zufriedenheitspunkte durch im Raum verteilte Zitate sammeln, die meinen Werte-Karten entsprechen. Finanziert werden sie durch Freunde aus der Kontaktliste des Smartphones. Je enger der Freund, desto höher sein Geldwert. „Turn friends into cash“ lautet der Pakt.

Das angekündigte moralische Dilemma ist nach einem kurzen „ach“ verpufft. Denn das Verkaufen von Freunden für Zitate in der Bank des Teufels bleibt völlig ohne Folgen. Schon wedeln Teilnehmer*innen mit Quittungen, auf denen „Schatz“ und „Omi“ steht. Ich verkaufe eine alte Schulfreundin, die jetzt die AfD wählt. Sie bringt gerade einmal 1.000 Dollar. In der Tauschphase können zusätzliche Zitate durch echte Interaktion ergattert werden. Ein aufgeregter Teilnehmer dreht mir eine Niete an. Es ist die Liebeskarte. Immerhin läuft die App und visuelles wie physisches Spielbrett sind gut betreut. Bei einem fragenden Blick wischt der schnelle Finger einer Mitarbeiterin über mein Display.

Den Literaturklassiker so neu kennenzulernen ist unterhaltsam, wirkt in diesem Kuhhandel-Format aber zu wenig komplex. Der intellektuelle Faust-Schlag in Form einer Katharsis bleibt aus. Zehn Prozent Zufriedenheit werden mir als End­ergebnis meines Pakts mit dem Teufel angezeigt. Gewonnen haben die, die die meisten Freunde verkauft und sich die höchste Zufriedenheit erspielt haben. „Being Faust – Enter Mephisto“, eine lange Nacht für eine kleine Idee. Nora Voit

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