: Dada ist: es nicht zu wissen. Das wissen Carsten „Erobique“ Meyer und Jacques Palminger und ganz gewiss Alexander Marcus
Das ist die Versuchsanordnung: Das Berliner Maxim Gorki Theater ruft seit drei Jahren ambitionierte Amateure auf, ihre heimlich verfassten Gedichte unter dem Kopfkissen hervorzuholen und ins Foyer mitzubringen, wo sie dann mit der Hilfe von Carsten „Erobique“ Meyer und Jacques Palminger vertont werden. Mal singen die textenden Theaterbesucher selbst, mal eher zufällig herumhängende Schauspieler, am Ende der Woche werden die Ergebnisse dieses Projekts zwischen Karaoke und DSDS auf der Bühne im Rahmen einer Revue vorgetragen. Auch drei CDs „Songs For Joy“ sind mittlerweile entstanden, aber größtenteils vergriffen. Dieses neue Album versammelt nun eine Auswahl der besten Lieder: Darin plustern sich mitunter Plattitüden wie „Nicht jede Raupe wird ein Schmetterling“ zu poetischen Peinsamkeiten auf, dann aber auch wird ein schlichter wahrer Satz wie „Nett ist die kleine Schwester von Scheiße“ mit Hilfe einer verführerisch schleichenden Hammond-Orgel zu einem lakonischen Easy-Listening-Meisterwerk hochgejazzt. So grandios ist zwar nicht jedes Ergebnis dieses Experiments, aber erstaunlich hoch ist die Trefferquote an wundervollen Songs. In den besten Momenten ist nicht zu unterscheiden ist, ob man es mit ironischer Distanz zu tun hat oder ernst gemeinter Selbstentblößung, ob noch mit Dada oder bereits mit galoppierendem Schwachsinn.
Eindeutig Letzterem fühlt sich Alexander Marcus verpflichtet. Die von dem bis dahin eher überschaubar erfolgreichen House-Produzenten Felix Rennefeld kreierte Kunstfigur verbindet auf „Mega“ zum zweiten Mal virtuos zwei urdeutsche Kulturerrungenschaften: Schlager und Techno. Die von ihm so getaufte „Electrolore“ glänzt mit durchaus flotten, wenn auch nicht gerade wahnsinnig anspruchsvollen Beats. Vor allem zitiert Marcus aus der reich mit ausgelutschten Klischees gefüllten Metaphernkiste des deutschen Schlagers. So reiht der Titelsong einen dummen Trinkspruch von „Wir lassen uns das Feiern nicht verbieten“ bis „Einer geht immer noch rein“ aneinander. „Homo Dance“ schlachtet die dümmsten Schwulenstereotype aus, und in „Fiesta Musica“ reimt sich „Du machst mich richtig an“ auf „Du hast ’nen schönen Teint“. Hirnloser Höhepunkt ist der „Hawaii Toast Song“, der hemmungslos den titelgebenden kulinarischen Höhepunkt der 70er-Jahre feiert: „Ananas aus der Dose / Scheiblettenkäse und Schinken / Den Ofen vorheizen und rein damit“. Man kann auch tanzen dazu.
Doch der Witz, das ist das überraschende, wird hier zwar zum zweiten Mal erzählt, aber funktioniert immer noch. Am besten in der limitierten Luxusedition von „Mega“: Dort findet sich nämlich neben einer DVD mit einer Sammlung der grandios dilettantischen Videoclips noch ein Hörbuch. In „So wurde ich zum King of Electrolore“ erzählt Marcus seine Lebensgeschichte, erzählt von den Anfängen als Tennislehrer, von den Schulden, von den Frauen und den ersten Erfolgen. Eine Abrechnung, ein Bekenntnis, ein Bestseller. Dieter Bohlen wird sich in Acht nehmen müssen. THOMAS WINKLER
■ Carsten „Erobique“ Meyer und Jacques Plaminger: „Songs For Joy“ (Staatsakt/Rough Trade)
■ Alexander Marcus: „Mega“ (Kontor/Edel), live: 20. 11. im Fritzclub