WIE SIND WIR DENN DRAUF? : Ein Schal ist mehr als nur Schale
Man könnte die mehr oder weniger bunten Stoffstreifen, die sich dieser Tage um viele Hälse wickeln, für eine bloße Schutzmaßnahme gegen kalte Winterluft halten. Weit gefehlt! Ein Schal ist mehr als ein bloßes Kleidungsstück. Er erzeugt Charisma. Nicht nur Schalveteranen wie Walter Momper und Hans-Christian Ströbele führen den Beweis.
Kürzlich ging es im Abgeordnetenhaus hoch her – kein Wunder, auf der Agenda stand ein Nachtragshaushalt von 444 Millionen Euro. So viel mehr kostet das Land die mangelhafte Planung des Single-Airports in Schönefeld. Empörung bei den Grünen: Sie wollten nicht als „Blutspender“ dienen. Einen etwas sachlicheren Eindruck hinterließ Heiko Herberg, Parlamentarischer Geschäftsführer der Piraten. Was weniger an seiner Wortwahl lag als an seinem dunkel gestreiften Schal.
Trotzdem ließ Ulrich Nußbaum die Vorwürfe an sich abprallen. Kein Wunder, der partei-, aber keineswegs geschmacklose Finanzsenator trug den elegantesten Schal von allen. Wie er da soigniert am Pult lehnte, den Hals locker in Blau-Grau gestreiften Zwirn gehüllt, wirkte Nußbaums Aussage – nein, hier fließe das Steuergeld nicht unkontrolliert – doppelt glaubwürdig.
Ein Einzelfall? Keineswegs: Auch der Regierende Bürgermeister ist neuerdings in geschlossenen Räumen mit Schal zu sehen, jüngst nach einer Sitzung des BER-Aufsichtsrats mit einem schwarz-lila Exemplar. Zwar erklärt sein Sprecher, Klaus Wowereit trage die Strickware nur zum Schutz gegen Kälte. Aber es ist offensichtlich, dass der von den Umfragen Gebeutelte ablenken will. Dazu passte der Spruch auf dem Schmuckstück: „Am schönsten sind Erinnerungen, die man noch vor sich hat“. Nach taz-Recherchen handelt es sich um das Modell „Jeanne Moreau“ (145 Euro).
Dass der Halsstoff inzwischen sogar als Zahlungsmittel gilt, erlebte kürzlich Peer Steinbrück: Nach seiner Rede an einer Hamburger Privatuni gab es für den Kanzlerkandidaten kein üppiges Honorar – sondern einen Schal.
JOHANNES KULMS