Auf Entdeckungstour in Irans Hauptstadt: Kleine Fluchten in Teheran

Viele Iranreisende geben der iranischen Hauptstadt keine richtige Chance. Dabei gibt es in der Millionenstadt eine Menge zu entdecken.

Wandbild an einer Hauswand in Teheran

Eins von Mehdi Ghadyanloos Werken in Teheran Foto: Sebastian Erb

TEHERAN taz | Früher hatte Mehdi Ghad­yanloo sein Atelier im Stadtzentrum. Vor einer Weile hat er es ganz in den Nordwesten von Teheran verlegt, in die Nähe seiner Wohnung, dahinter kommen nur noch die Berge. Er musste raus aus dem Zentrum, der Verkehr, der Smog, die Hektik. „Ich mag Teheran“, sagt er. Und gleich danach: „Ich liebe die Stadt nicht, dieses laute hässliche Durcheinander.“ Es ist Hassliebe.

Vielleicht ist es keine schlechte Idee, die Erkundung der iranischen Hauptstadt bei einem zu beginnen, der hin und her gerissen ist, der deshalb einen differenzierten Blick hat. Und der selbst Teheran ein bisschen angenehmer machte. Sein Atelier ist eine fast leere Wohnung in einem neuen Wohnblock, die Wände mit Plastikfolie angeklebt.

Schaut man aus dem Fenster, kann man am dunstigen Horizont den Borj-e Milad erkennen, einen 435 Meter hohen Fernsehturm. 35 Jahre alt ist Mehdi Ghadyanloo, ganz in Schwarz gekleidet, der schüchtern wirkende Mann ist einer der bekanntesten iranischen Street-Art-Künstler. „Tee?“, fragt er und schenkt zwei Tassen ein. „Ich bin teesüchtig.“

Erst hatte er einen anderen Weg eingeschlagen. Er lebte außerhalb der Hauptstadt auf dem Land, hütete Schafe, wollte Arzt werden. Bis ihn seine Tante um ein Porträt fragte, das offenbar ganz gut wurde. Also studierte er Malerei und Animation.

Als er die Ausschreibung las, vor zwölf Jahren war das, wer macht unsere Wände schön?, wusste er: Da will ich mitmachen. Denn Teheran ist keine hübsche Stadt, es dominiert Beton in allen Graustufen, und knapp 30 Jahre nach der Revolution waren als farbliche Abwechslung nur überlebensgroße Märtyrer zu sehen. „Das wurde langsam öde.“ Zehn Ideen hat er vorgestellt, neun wurden akzeptiert. Morgen kannst du anfangen, sagten sie ihm. Und dazu war es noch gut bezahlt. Ein Künstlertraum.

Bunte Hauswände

Am Anfang ist er noch selbst mit dem Pinsel auf die Leiter gestiegen, dann hat er dafür Freunde engagiert. Es wurden mehr als 100 Wandbilder. Manche sieht man noch, wenn man im Taxi durch die Stadt fährt oder – wie fast immer – irgendwo im Stau steht. Oder wenn man zu Fuß unterwegs ist, wobei man dann aufpassen sollte, dass man beim Blick nach oben nicht den Blick nach rechts und links vergisst, denn es düst immer von irgendwo ein Motorrad heran, und sei es gegen die Fahrtrichtung.

Anreise: Viele Airlines fliegen von deutschen Flughäfen aus nach Teheran. Hin- und Rückflug ab 250 Euro. Mit einem deutschen Pass kann man bei der Ankunft ein so genanntes Visa on Arrival bekommen.

Unterkunft: Die Auswahl an Hotels in Teheran ist begrenzt, vor allem im günstigen und mittleren Preissegment, und relativ teuer. Für Budgetreisende wird oft das Firouzeh Hotel empfohlen, firouzehhotel.com

See you in Iran: Im Kojeen: SYI Café-Hostel kostet eine Übernachtung ab 15 Euro im Mehrbettzimmer, Reservierung empfehlenswert, seeyouin­iran.org. Die Facebook-Gruppe findet sich hier: facebook.com/groups/1483860975268043/

Es sind surreale Szenen, meist vor hellblauem Hintergrund. Blau, wie der Himmel selten ist. Ein Mensch flieg an bunten Luftballons in die Lüfte, ein Fahrradfahrer fährt auf einem schwebenden Ring, ein Feld mit Sonnenblume. Es sind dezente Statements gegen die Hässlichkeit und gegen die negativen Folgen der Verstädterung. Um die 15 Millionen Menschen leben in Teheran und es werden immer mehr. „Meine Wandbilder sollten eine Erfrischung sein, fünf Sekunden Ablenkung vom grauen Alltag“, sagt Mehdi Ghadyanloo.

Seine kritische Haltung erkennt man an den Wandbildern erst auf den zweiten Blick. „Ich wusste um meine Beschränkungen“, sagt er dazu. Jedes seiner Werke musste von den Offiziellen abgenommen werden. Es sind diese kleinen Spielräume, die es hier in Iran zu füllen gilt. Die es hier gibt, allen mit dem Islam begründeten Moralvorstellungen und daraus abgeleiteten Gesetzen zum Trotz.

Die Kunstszene in Teheran etwa ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Mehr als 150 Galerien laden zu einem Besuch ein, die meisten sind im Stadtzentrum, zwischen den Metrostationen Taleghani und Haft-e Tir. Und es ist kein Zufall, dass gerade in dieser Gegend auch eine Gruppe junger Leute ein besonderes Projekt gestartet hat.

Schwimmen ist keine Option

Ihr Haus, erbaut zwei Jahrzehnte vor der Revolution, liegt in einer schmalen Seitengasse, Backstein, hellblaue Türen und Fenster. Wenige Monate nach der Eröffnung ist längst nicht alles fertig. Im dritten Stock wird gerade eine Wand neu eingezogen, sie brauchen mehr Zimmer, mehr Platz. Im Erdgeschoss, an der Küche und dem Café-Restaurant vorbei, kommt man in den Innenhof mit Swimming-Pool. Aber der ist leer, sie überlegen, was sie mit ihm machen sollen. Schwimmen ist keine Option, könnten ja alle Nachbarn zusehen. „Vielleicht bauen wir ein kleines Open-Air-Kino hinein“, sagt Navid Yousefian.

Der umtriebige Mann mit Vollbart ist einer der Gründer und Chefs, wobei „Chefs“ vielleicht das falsche Wort ist. Sie sind noch am Überlegen, wie die Struktur ihres Projekts aussehen soll. Auf dem Tisch im Aufenthaltsraum liegt ein Zettel mit vielen Kästen, Strichen und Pfeilen; möglicherweise wird es am Ende eine Art Genossenschaft. Bis vor Kurzem war dieses Hostel lediglich eine Facebook-Gruppe mit dem Namen „See you in Iran“.

Navid Yousefian hat diese Gruppe gegründet, 28 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Teheran. Für sein Masterstudium ging er in die USA, begann eine Promotion in Politischer Theorie. Die Idee für die Facebook-Gruppe hatte er im Sommer 2015. In Tunis traf er Touristen aus Deutschland und Frankreich. Es ist möglich nach Iran zu reisen?, fragten die ihn verwundert.

Da spürte er das Bedürfnis, den Menschen vom anderen Iran zu erzählen, vom Iran jenseits des Bildes in den Medien. Oder besser: die Leute sollten sich gegenseitig davon erzählen. Nach drei Monaten waren es 30.000 Mitglieder in der Gruppe, die Navid Yousefian zusammen mit drei Freunden betreut, Iraner und Menschen aus aller Welt. Inzwischen hat sie mehr als 100.000 Mitglieder. Sie fragen nach, wie man Inlandsflüge buchen kann, geben Tipps für Busfahrten oder die besten vegetarischen Restaurants.

Teheran bei Nacht

Die iranische Hauptstadt bei Nacht aus der Vogelperspektive Foto: Sebastian Erb

Manche Mitglieder posten ab und zu etwas über das aktuelle Zeitgeschehen, was dann gleich Kritiker auf den Plan ruft, die nur über antike Sehenswürdigkeiten sprechen wollen, über die schönsten Wüstenorte und vielleicht noch über Stempel im Pass. Für die Macher aber ist klar, dass Politik dazugehört. Wie kann man sich auch für Iran interessieren und die Politik außen vor lassen, wenn die doch einen solch großen Einfluss auf das tägliche Leben hat?

Der Geheimdienst liest mit, davon gehen Navid Yousefian und seine Mitstreiter übrigens aus. Aber was sollte die Regierung schon gegen sie haben. „Sie sollte wertschätzen, was wir tun“, sagt er. „Wir bekämpfen die Iranophobie.“

Es wird gemütlicher

Vor ein paar Monaten kam Navid Yousefian nach sechs Jahren zurück in sein Heimatland und hat bemerkt, wie sich die Islamische Republik und ihre Hauptstadt in dieser Zeit verändert haben. Mehr gemütliche Orte, vor allem Cafés in der Gegend rund um die Universität, mit Schokokuchen, italienischem Kaffee und Popmusik. Mehr riesige Shoppingmalls, mehr Konsum, mehr Kapitalismus. Er findet es interessant, dass das die Leute eher positiv sehen.

Und dann war da die Idee, aus der Facebook-Gruppe mehr zu machen. Sie zu materialisieren, um wirklichen Austausch schaffen zu können. Ein Kulturhaus sollte es sein, Kunst und Gespräche organisiert in einem Hostel, das zugleich all die anderen Aktivitäten finanziert.

Das Haus zu finden war gar nicht so schwierig. Noch einfacher war das Marketing, ein neues Coverfoto in der Facebook-Gruppe genügte. Nach drei Wochen waren sie ausgebucht. Schwieriger war es, den Behörden zu erklären, was sie vorhaben.

Zehn Ideen hat er vorgestellt, neun wurden akzeptiert. Morgen kannst du anfangen, sagten sie ihm

„Die moderne iranische Geschichte ist in Teheran passiert, warum solltest du das auslassen?“ Sogand Afkari, eine der Gründerinnen, kann nicht verstehen, dass sich der Blick vieler Iranbesucher vor allem weit in die Vergangenheit oder auf ein klischeehaftes Bild von Persien richtet. Sie ist 27, man hört, dass sie in den USA aufgewachsen ist, in Connecticut, als Kind iranischer Eltern. Vor vier Jahren ist sie nach Iran gezogen, eigentlich wollte sie nur ein halbes Jahr bleiben, um ihr Farsi zu verbessern. Sie kam mit einem romantisierendem Iranbild im Kopf, fand das nicht, alles war komplizierter. Aber so reizvoll, dass sie blieb.

Fragt man sie nach ihrem Lieblingsort in Teheran, sagt sie vorsichtshalber gleich, dieser sei im Grunde auch ein großes Klischee. „Der Golestanpalast, mir gefällt die Spannung aus West­orientierung und einheimischer Modernisierung.“ Der „Palast der Blumen“ im Stadtzentrum wurde um die Wende zum 19. Jahrhundert errichtet und war bis zur Vertreibung des Schah 1979 der offizielle Sitz des persischen Monarchen. Heute befindet sich dort ein Museum.

„Teheran hat viel zu bieten“

Sie findet es gut, dass sie ihr Hostel im Zentrum der 15-Millionen-Einwohner-Metropole aufgemacht haben, wo viele Menschen durch die Straßen wuseln. Wo es viele Buchläden gibt, wo an der einen Ecke Brot im Lehmofen gebacken und an der nächsten frischgepresster Granatapfelsaft angeboten wird. Im Norden der Stadt, wo die Reichen leben, ist alles fancier, aber auch steriler. „Wer das Leben der Leute sehen will, dem hat Teheran viel zu bieten“, sagt Navid Yousefian. Du findest alles, nach dem du suchst.“ Aber die Stadt zu erkunden, das sei nicht so leicht. „Du musst die Locals kennen.“ Sein Tipp: „Immer wenn dir ein Local etwas anbietet, sage ja!“

Selbst die ganz öffentliche Kulturlandschaft ist schon deutlich vielfältiger, als man vielleicht glauben möchte. Die aktuell laufende Ausstellung von teils bislang weggeschlossenen Werken moderner Malerei, die eigentlich in Berlin gezeigt werden sollten, ist nur das sichtbarste Beispiel. Aber grundsätzlich, das bemerkt Navid Yousefian zu Recht, ist das öffentliche Leben schon eingeschränkt. Vieles findet, weil offiziell verboten, im Privaten statt oder zumindest in einer Grauzone zwischen öffentlich und privat. Ob Dostojewski-Lesekreis, Vorführung von Werner-Herzog-Filmen oder Tanzpartys. Zu solchen Veranstaltungen findet man nur, wenn man jemanden kennt, der in der richtigen Telegram-Gruppe Mitglied ist.

Die Hostel-Gründer werden manchmal dafür kritisiert, dass bei ihnen alles gar nicht so underground ist. Aber für sie ist die erste Priorität, dass sie arbeiten können, deshalb sind sie vorsichtig. Deshalb haben sie ein Schild an der Tür, deshalb ist alles offiziell.

Denn wenn irgendeine Kleinigkeit nicht stimmen sollte, irgendeine fehlende Genehmigung, kann das schnell Konsequenzen haben. Wenn jemand von welcher Behörde auch immer auf die Idee kommen sollte, das Hostel schließen zu müssen, würden er einen Baustellen­wagen gleich mitbringen, um die Türen zuschweißen zu lassen.

Das nächste Projekt ist in der Provinz

Navid Yousefian, Sogand Afkari und ihre Mitstreiter wollen sich nicht ausbremsen lassen. Denn sie haben viel vor. Es wäre kein Problem für sie, in Teheran ein zweites Haus aufzumachen. Aber erst mal wollen sie in die Provinz. Und dann mal schauen. Sie haben keinen Fünf-Jahres-Plan, sie wissen ja nicht mal, was morgen sein wird. Und damit passen sie ganz gut nach Iran.

Auch Mehdi Ghadyanloo weiß nicht, was in fünf Jahren ist. In jedem Fall hat er viele Ideen, was man in Teheran ändern müsste. Die Autos verbannen und dafür die U-Bahn ausbauen. Keine Wolkenkratzer mehr genehmigen, weil die den Wind blockieren.

Wände bemalt er seit ein paar Jahren keine mehr. Er will sich weiterentwickeln, und außerdem bekam er zu spüren, dass seine Kunst im Straßenraum nicht mehr gewollt ist. Inzwischen stellt er regelmäßig in Großbritannien aus und wurde eingeladen, in Boston eine riesige Wand zu bemalen, „Spaces of Hope“ hat er sein Werk genannt.

Er könnte die Stadt verlassen, aber ihm gefällt sie ja doch, sie treibt ihn an, und man weiß hier ja nie, was einen erwartet. Der Künstlerpark mit seinen Restaurants und Cafés liegt ein paar Blocks vom Hostel entfernt und ist einer der angenehmsten Orte der Stadt. Abends sitzen drinnen auf den Bänken junge Paare und unterhalten sich im Dämmerlicht, manche halten Händchen. Im Flutlicht spielen Frauen mit hochgekrempelten Armen Tischtennis. Dann plötzlich in einer Ecke: Lärm, freudiger Lärm. Was ist da los?

Ein paar Leute stehen im Kreis und klatschen. Ein Tänzer tanzt auf einem Steinpodest zu einem Michael-Jackson-Song, die Musik kommt aus einem Ghettoblaster. Dann tritt sein Kumpel auf – weiße Turnschuhe, weiße Handschuhe – und macht Breakdance-Moves. Die Leute lachen, keiner schaut sich um.

Bevor die beiden Männer wieder verschwinden, ertönt Pharrell Williams’ „Happy“ aus dem Lautsprecher, und sie sagen noch ein paar Worte. Dass sie das ganz selten machen, einmal im Jahr nur, weil es ja nicht erlaubt ist. Und das war heute. Einer der beiden legt einen Hut auf das Podest, der sich schnell mit Geldscheinen füllt. Kleine Spenden für ein paar Minuten Freiheit und Glück.

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