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Archiv-Artikel

Wir Mörder

Katharina Bretsch hat ein veganes Kochbuch geschrieben. Es soll ein politisches Statement sein. Grund genug, sich Gedanken zu machen über ein Leben ohne Käse, Fleisch und Ledersohlen

von Anna Hunger (Text) und Katharina Bretsch (Illustrationen)

Es kann doch nicht sein“, sagt mein Mann, „dass wir an Gemüsebrühe scheitern.“ Er dreht ein Glas in der Hand, Maggi. „Spuren von Ei“, steht drauf. Wir sind schon den halben Tag unterwegs, auf der Jagd nach Seitlingen (Austern- und Kräuter-), auf der Pirsch nach Gluten und Sojamehl und Zeug, von dem wir bisher nicht wussten, dass es existiert (Agar-Agar). Und dann so was. Wir entscheiden, wenigstens die totale Biovariante zu nehmen. „Trotzdem ein Schandfleck“, sagt mein Mann, als wir samt Brühe an der Kasse stehen. Er sieht unglücklich aus.

Wir kochen zwei Tage vegan, haben wir uns vorgenommen. Mein Mann, großer Freund von Serrano-Schinken auf Laugenbrötchen. Ich, passionierte Milchkaffeetrinkerin. Wir sind Ritter-Sport-Vollmilch-Liebhaber, wir tragen Schuhe mit Lederbestandteilen, wir sind uns bewusst, dass Tiere für uns sterben und leiden müssen, weil wir gerne den leckeren Ziegenkäse von der Käsetheke essen, den sie auch noch mit Schinken umwickelt haben. Natürlich bemühen wir uns, politisch korrekt zu leben. Aber wir sind Omnivoren, Allesfresser, so, wie Gott oder wer auch immer den Menschen geschaffen hat.

Fressen und gefressen werden. Der Frosch frisst die Fliege, der Storch den Frosch, irgendein anderes Tier den Storch, okay, der Mensch, zugegeben, hat es übertrieben. Und natürlich ist uns das bewusst.

Die Lebensmittelknappheit in dem, was wir „Dritte Welt“ nennen, das liegt an unserem Fleischkonsum. Und an dem der Chinesen, sagte Professor Gernot Klepper vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel kürzlich der „Tagesschau“. Mehr als 1,7 Milliarden Tiere werden weltweit als Nutztiere gehalten. Sie bedecken ein Viertel der Landfläche des Planeten. Für das Futter werden ein Drittel aller zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Flächen gebraucht. Eier werden milliardenfach in Legebatterien produziert, Küken werden geschreddert, ihre Eltern elektronisch enthauptet, Schweine gepfercht, Kühe gequält. Und wenn sie doch ein einigermaßen gutes Leben führen, dann zumindest komplett menschenfrei gemolken, weil kein Großbauer es schafft, über tausend Zitzen am Tag in die Hand zu nehmen. Die Meere sind bald fischfrei. „Tragik der Allmende“ nennt man das, die Übernutzung von Ressourcen im Sinne des „Allgemeinwohls“. Das ist nicht gut.

Und bekannt.

In einer kürzlich veröffentlichten Studie hat ein österreichischer Forscher herausgefunden, dass für nur ein Kilo Fleisch, rechnet man die Produktion der Futtermittel mit ein, 335 Kilogramm Kohlendioxid ausgestoßen würden. Das Schlimme: eingesperrte Rinder und Batteriehennen aus Holland schneiden im Sinne der Ökobilanz am besten ab. Biotiere am schlechtesten, weil die länger leben, deshalb mehr fressen, mehr Platz brauchen und über einen längeren Zeitraum pupsen. Bio lässt unsere Welt demnach noch schneller untergehen.

Als BSE aufkam und im Fernsehen Kühe gezeigt wurden, die krampfend auf dem Boden lagen, habe ich beschlossen, Vegetarier zu werden. Nach drei Jahren habe ich verloren gegen eine profane Bolognese-Sauce. Man kann es Willensschwäche nennen. Vegetarier zu sein ist aber auch nichts, lerne ich auf der Homepage „Vegetarier sind Mörder“. „Nicht nur durch Leichenfressen, sondern auch durch den Konsum von Milch, Eiern und Honig wird Mord an Säugetieren, Vögeln bzw. Bienen in Auftrag gegeben.“ Ohne Kalbfleisch eben auch keine Milch.

Die einzige Lösung: ein veganes Leben.

In Deutschland leben laut dem Vegetarierbund etwa fünf Millionen Vegetarier und circa 500.000 Veganer, genau kann man es nicht sagen. Sie leben bar jeglicher tierischer Produkte, keine Milch, kein Fleisch, kein Käse. Mein Mann sagt, ein Leben ohne Käse sei ein trauriges.

2010 wurden 5.392.000.000 Liter Milch getrunken

Er und ich stehen im Reformhaus zwischen Weißwürsten ohne Wurst, Reisbratlingen und einer Packung „Das Schnitzel“ aus Haferfasern und Weizeneiweiß. Wir suchen Räuchertofu. Weil wir schon da und aufgeschlossen sind für unseren Selbstversuch, kaufen wir gleich noch einen Hanf-Brotbelag, er ist grau und quietscht beim Draufbeißen. Mein Mann sagt: „Och, so schlecht isses doch gar nicht.“ Ich sage: „Doch, wohl.“ Es schmeckt – um das in aller Deutlichkeit zu sagen – scheiße. „Mit Brot geht's“, sagt mein Mann. Aber ist unser Steinofenbrot vegan? Wir werden keins dazu essen.

Wir kaufen viel Soja für unser veganes Essen, obwohl all die Soja-Monokulturen weltweit den Regenwald zerstören und für die benötigten Flächen indigene Völker umgepflanzt werden. Wir kaufen Gluten und überlegen lange, ob wir das für 3,69 Euro kaufen oder ob das für 6,80 Euro wohl doch besser ist. Wir nehmen das günstige, vermutlich aus Ignoranz. Die Frau vor uns an der Kasse packt eine Packung quietschenden, grauen Brotbelag in ihre Tasche. Ich fühle mich schlecht, weil ich grinse, innerlich.

Am 1. November war Weltvegantag. Entstanden 1994 anlässlich des 50. Jahrestags der Gründung der Vegan Society in Großbritannien. „Ich war umgeben von interessanten Tieren. Sie ,gaben‘ alle etwas“, sagte der Vegan-Society-Gründer Donald Watson mal. Hennen gaben Eier, die Schafe Wolle, das Pferd zog den Pflug. Mit 14 wurde er Vegetarier, nachdem er gesehen hatte, wie die Schweine geschlachtet wurden, und als er sah, wie Milch produziert wird, wurde er zum Veganer. Er hat das Wort vegan überhaupt erst erfunden – gebildet aus „vegetarian“. Das Ende des Vegetarismus, für eine Ernährung ohne Tiere.

„Essen ohne Tiere“ – so heißt auch das Kochbuch, nach dem wir einkaufen und kochen. Geschrieben hat es Katharina Bretsch, 31 Jahre alt, Veganerin aus Stuttgart. Alles, was drinsteht, klingt lecker. Ich sitze Tage vor unserem Einkauf im Café Stella ein Stockwerk unter unserer Redaktion, da arbeitet sie. Ich trinke Milchkaffee und komme mir schon wieder schlecht vor. Im Jahr 2010 verbrauchte jeder Bundesbürger 67,4 Liter Milch, schreibt der Milchindustrie-Verband. Das sind 5.392.000.000 Liter insgesamt, die meisten davon stammen von unglücklichen Kühen, weil kaum einer mehr als einen Euro für einen Liter Kuhglück bezahlen möchte. Katharina Bretsch hat nichts gegen Milchtrinker. Nicht mal was gegen Fleischesser. „Grillen riecht fantastisch“, sagt sie, was mich beruhigt. Sie schaut Kochsendungen, in denen sie Braten braten, und holt sich dort Anregungen für die eigenen Rezepte. Zum Kochen hört sie Punkrock. Sie ist tätowiert, Blumen auf der Schulter, zwei Stifte auf dem Finger, sie zeichnet, auch die Illustrationen für ihr Buch selbst. Es ist bunt, nicht grau. Es war ihre Diplomarbeit, Kommunikationsdesign. Sie sagt: „Das Buch ist ein politisches Statement.“

Mein Mann und ich stehen in der Küche und lassen den Sojajoghurt durch ein Küchentuch abtropfen. Wir rühren das Agar-Agar zu einer grauen Masse. Wir backen Käsekuchen. Nach 50 Minuten wird er super schmecken. Weil's so lecker war, machen wir uns lauwarmen Seitlingsalat mit Granatapfelkernen.

Men's Health hat 2007 getitelt: „Kein Sex mit laufenden Tierfriedhöfen!“ Es ging um eine Studie, für die Veganer interviewt wurden. Eine der Befragten sagte, sie fände Nichtveganer zwar attraktiv, wolle aber nicht mit jemandem intim werden, dessen Körper durch tote Tiere am Leben gehalten würde. Ich finde Blogs, in denen sich Veganer darüber aufregen, dass das Gemüse, das sie kaufen, von Menschen geerntet wird, die ihre Energie aus tierischen Produkten beziehen. „Wie kann man sicher sein, dass der Fahrer des Gemüsetransporters keine Lederschuhe trägt?“, fragt eine. Ich denke an die Straßen, Wollmäntel, Vesperbrote.

Im Vegetarierforum.com finde ich einen Beitrag eines Veganers, der seinen Tag beklagt: „Ich treffe eine alte (scheinbar) nette Dame mit einer schweren Tasche. Ich frage nett, ob da was Tierisches drin sei, wenn nicht, würde ich tragen helfen. Dann sagt die blöde Kuh, von einem blöden Vegetarier nehme ich keine Hilfe an, ihr gefährdet mit eurer Lebensweise die Arbeitsplätze aller Fleischfachverkäufer … Ich dachte wütend, wieso helfe ich solchen bösartigen Menschen?“ Mein Mann sagt: „Fundamentalismus ist ein Grundübel der Menschheit.“

60 Millionen tote Schweine im Jahr 2011

„Vegan sein soll Spaß machen und einem nicht das Leben versauen“, sagt Katharina Bretsch und erzählt, wie sie vor einiger Zeit immer wieder träumte, sie schwömme in Käse. Danach hatte sie eine Eier-und-Käse-Phase. Die ging vorbei. Vegan leben sei eine Bereicherung. „Wenn ich die Leute angehe, weil sie Fleisch essen, dann ist das gleich so eine Antihaltung“, sagt sie. Damit bewege man ja nichts.

Wir sitzen in einem Supermarkt, weil wir nach einem Gemüsehändler, dem Reformhaus und einem Bioladen noch einiges brauchen und keine Lust mehr haben, durch die Gegend zu fahren. Unser veganes Essen hat sowieso eine sehr maue CO2-Bilanz. Wir trinken Kaffee. Um uns herum Einkäufer mit vollgeladenen Einkaufswägen. „Es gibt zu viel“, sagt mein Mann. Zu viele Produkte, zu viele Menschen. Es ist unmöglich, für sie alle politisch korrektes Fleisch zu produzieren. 60 Kilo wurden pro Kopf in Deutschland 2011 gegessen. 60 Millionen tote Schweine.

„Wenn keiner mehr Fleisch isst, was machen wir dann mit all den Tieren, die keiner mehr braucht?“, fragt mein Mann.

Wir kochen Hartweizengrießnudeln und Bolognese-Sauce mit Walnüssen und Karotten statt Hackfleisch. Es schmeckt lecker. Zugegeben, wir streuen irgendwann Käse drüber, geriebenen Emmentaler, bio, immerhin.

Vegan zu leben bedeutet, keinerlei Tierprodukte zu konsumieren, keinen Honig, keinen Kaviar, selbstverständlich keinen Pelz zu tragen, kein Leder, nicht in Zoos zu gehen und nicht in den Zirkus. Keine Tierversuche. Ich denke an Medikamente, die an Tieren getestet werden, und finde das besser, als sie an indischen Kindern zu testen. Keine Daunen für das Bettzeug. In einem Ratgeberblog empfiehlt ein „Sinden“ deshalb Chemiefasern fürs Bett, das sei vegan. Die Rohstoffe dafür stammen aus Erdöl.

Wir machen Wurstsalat aus Räuchertofu. Ich bin skeptisch. Katharina Bretsch, die Autorin des veganen Kochbuchs, isst eigentlich keinen Fleischersatz. Der schmeckt ja nicht wie Fleisch. Konsequent, denke ich. Der Tofu-Wurstsalat ist trotzdem gut.

Ich lese eine Geschichte über den Hund Felix, einen Yorkshire-Terrier, der mit einem Brei aus Möhren, Äpfeln, Blaubeeren, Erdbeeren, Broccoli, Fenchel, Kürbis, Spinat, Paprika, Kartoffel, Reis und manchmal auch Linsen mit Hafermilch gefüttert wird. Er tut mir leid. Nichtvegane Hundeernährung sei Tierquälerei, schreibt Veganismus.de. Peta schreibt: „Wenn Sie Ihr Tier mit konventionellem Tierfutter ernähren, unterstützen Sie die Fleischindustrie, die jährlich ca. 570 Millionen leidensfähige Kühe, Kälber, Schafe, Schweine oder Hühner allein in Deutschland grausam schlachtet und zerlegt.“ Ich gebe meinem Hund ein Stück Apfel. Er rümpft nur die Nase. Tofu mag er auch nicht.

17,5 Milliarden Eier wurden im Jahr 2012 gegessen

Ich finde eine Unmenge Zitate gegen Fleisch im Netz:

„Nichts wird die Gesundheit der Menschen und die Chance auf ein Überleben auf der Erde so steigern wie der Schritt zur vegetarischen Ernährung.“ (Albert Einstein)

„Wahre menschliche Kultur gibt es erst, wenn nicht nur die Menschenfresserei, sondern jede Art des Fleischgenusses als Kannibalismus gilt.“ (Wilhelm Busch)

„Solange es Schlachthäuser gibt, wird es auch Schlachtfelder geben.“ (Leo Tolstoi)

Tolstoi ist 1910 gestorben. Zwischenzeitlich hat die Menschheit Ställe entwickelt, die Kühe automatisiert füttern, Lagerhallen mit Schlachtfließbändern, quadratkilometergroße Ställe zur vollautomatischen Eierproduktion. Fleisch wird um die halbe Welt gekarrt, um es zu verpacken, zu normen, zu stempeln. Tiere sind Produkte. Der Konsum von Eiern, Milch und Fleisch hat sich verdrei-, vervier-, verfünffacht.

17,5 Milliarden Eier wurden im Jahr 2012 in Deutschland gegessen. Wir essen keine Eier. Nicht, weil wir Eier nicht mögen, wir kaufen eben keine. Wir haben mit Eiern sozusagen nichts zu tun. Und so ist es eigentlich ein Witz, dass uns gerade die Gemüsebrühe einen Strich durch die Rechnung macht. Spuren von Ei.

Katharina Bretsch ist 31 Jahre alt, Grafikdesignerin und Illustratorin. Ihr Kochbuch „Kochen ohne Tiere“ ist im Christian Verlag erschienen und kostet 29,95 Euro. Die Illustrationen zu den Rezepten hat sie selbst gezeichnet. „Vegan kochen soll ja Spaß machen“, sagt sie.