Die Segel flattern in Regen und Wind

Oper Fürchten kann sich nur, wer Mitleid empfindet: Richard Wagners „Der Fliegende Holländer“ an der Deutschen Oper

Sie empfindet Mitleid für einen Mann, der nicht sterben kann Foto: Marcus Lieberenz/bildbuehne

von Niklaus Hablützel

Das Orchester beginnt die Ouvertüre, zu abstürzenden Streichern und blendenden Fanfaren des Blechs öffnet sich die graue Wand, die das Bühnenportal verschloss. Heller wird es damit nicht. Es regnet, graue Wolken hängen unter der Decke. Hinten auf dem Boden des schmutzigen Raumes liegt eine Wasserpfütze. Seile hängen an den Wänden, rechts stehen Gegenstände herum, so in schwarze Planen verpackt, dass nicht erkennbar ist, was da gelagert wird.

Ein Mann sitzt in der Mitte. Grobe Jacke, Rucksack. Es geht ihm nicht gut und er scheint nicht recht zu wissen, wie und wozu er hierher geraten ist. Wagners Orchesterstück hat mal eine Generalpause. Dann sind die laut klatschenden Tropfen des Dauerregens zu hören. In den lyrischen Passagen, die ihnen Wagner danach gibt, müssen die Holzbläser aufpassen, dass sie nicht darin untergehen. Ein Mädchen kommt mit einem gerahmten Bild in der Hand herein, küsst es auf den Knien, geht weg.

Im Theater von Christian Spuck

Dann hält es der Mann nicht mehr aus. Er greift nach dem kleinen Spielzeugschiff an seiner Seite, steht auf und wirft es wütend an die Wand, wo es krachend zerbricht. Wortlos ist damit ist schon die ganze Handlung der ersten Oper erzählt, die Richard Wagner selbst als gültiges Eigenwerk anerkannt hat. Der Mann ist Thomas Blondelle, Tenor und festes Mitglied des Ensembles. Er muss noch lange warten, bis er seine wunderschöne Stimme erheben darf, um den Jäger Erik zu singen, der um die Liebe seiner Senta flehen muss. Er kann das sehr gut, aber es ist dann viel zu spät. Eigentlich ist alles schon vorbei, bevor es angefangen hat, weil wir im Theater von Christian Spuck gelandet sind.

Spuck hat als Tänzer begonnen, arbeitet seit Jahren international als Choreograph und leitet heute das Ballett am Opernhaus Zürich. Opern sind nur sein Nebenfach, sein Theater ist ein Theater der Räume, in denen sich Personen bewegen, wie in einem Traum gefangen.

Vor drei Jahren war ebenfalls an der Deutschen Oper zu erleben, wie Goethes Faust zur Musik von Hector Berlioz herum taumelt wie von unsichtbaren Fäden eines magischen Tanzmeisters gezogen. Jetzt ist der brave Jäger Erik das Opfer dieser surrealen Geometrien. Die Ouvertüre ist zu Ende, und Spuck legt erst richtig los. Den Seefahrer Daland und seine Matrosen hat es ebenfalls an diesen verregneten Unort verschlagen. Sie sind müde und legen sich schlafen, nur der Steuermann singt noch ein Strophenlied an sein Mädchen am Land. Nichts geschieht, aber Spuck versteht es, eben dadurch die Spannung ansteigen zu lassen. Der Raum selbst ist unheimlich. Allmählich, begleitet von beiläufigen Aktionen der Figuren wächst das Grauen heran und schleicht sich ein bis in die hintersten Ecken des großen Opernsaales.

Dass dann wirklich Samuel Youn als Fliegender Holländer die Bühne betritt, im schwarzen Kapuzenmantel durch die Regenpfütze stampfend, ist schon gar nicht mehr wichtig. Er war von Anfang an da. Jetzt singt er seine Legende, die Heine einst in seinen „Memoiren des Herren von Schnabelewopski“ spöttisch kolportiert hat. Sie ist tatsächlich ziemlich albern, was in der Regel dazu führt, dass danach die Seefahrertochter Senta, die sich in diesen Untoten verliebt, als klinischer Fall pubertärer Hysterie gespielt werden muss.

Der Raum selbst ist unheimlich, und ganz allmählich wächst das Grauen heran

Ganz anders bei Spuck. Die junge Schwedin Ingela Brimberg singt kein romantisch überreiztes Mädchen, sondern eine erwachsene junge Frau, die echtes Mitleid empfindet für diesen Mann, der aus dem Regen kam und nicht sterben kann. Spuck zaubert den Schrecken dieser Figur nicht nur herbei, er versteht ihn auch. Man muss mitleiden, nur dann kann man sich davor fürchten.

Ganz großes, tiefgründiges Theater ist das, genial unterstützt durch den Bühnenbildner Rufus Didwiszus. Das unförmige Paket des Anfangs lässt sich für Sentas Welt auf offener Bühne aufschnüren. Nähmaschinen steckten darin und weiße Segel, die nun zum Innenraum einer Nähstube drapiert werden. Sie flattern im Regenwind. Zum Schlussbild werden sie eingeholt und durch schwarze Planen an der linken Wand ersetzt. Wenn davor der große Chor singt und tanzt, geht das furchtbare Schweigen des Totenschiffes, das Wagner ganz wunderbar komponiert hat, so tief unter die Haut, dass man nach dem letzten Akkord erleichtert durchatmen muss.

Schade nur, dass Chor und Orchester unter Donnald Runnicles mit der cineastischen Wucht dieser Szenen nicht mithalten können. Die Premiere vom Sonntag zumindest war ziemlich verwackelt, ungenau, eher grob als dramatisch gespielt und gesungen. Vielleicht lässt sich das in den nächsten Vorstellungen nacharbeiten. Es lohnte sich sehr.

Wieder am 11., 16., 20. Mai