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Kurzweilrappelkiste

Musik Clubsound ohne Bassdrum, jeht’n ditte? Acid Pauli gibt auf „BLD“ eine starke Antwort

Im Club, morgens um halb sieben. Die Stimmung ist gut, Wasser tropft von der Decke, alle tanzen, und dann nimmt der DJ die Bässe raus. Die Musik zischelt und wabert weiter vor sich, quengelt und stottert. Die Menge hält inne, Irritation, alle Blicke auf den DJ, voller Erwartung und Sehnsucht. Und dann passiert es endlich: Die Bässe wieder rein, alle Hände in die Höhe, noch einen Shot, Jubel und Ekstase.

So in etwa funktioniert auch „BLD“, das zweite Album von Acid Pauli. Nur mit dem einen, gewichtigen Unterschied: Den Teil mit der Spannungsentladung und der Euphorie lässt die Platte einfach weg. Stattdessen simuliert sie ausschließlich, in allen acht Stücken, diesen Zustand der Erwartung im Club, den spannenden Moment, in dem noch völlig unklar ist, was genau als Nächstes passiert. Das heißt: Ja, es ist Techno, vielleicht auch House – so genau lässt sich das nicht sagen, was einem auf diesem Album geboten wird, jedenfalls irgendetwas, das sich vage als Clubmusik ausweist; doch die Bassdrum, das allgemeingültige Signal zur Abfahrt, das Ticket zur Glückseligkeit, sie setzt einfach nicht ein.

Moderne elektronische Tanzmusik ohne Bassdrum, geht das überhaupt? Irgendwie schon, „BLD“ ist der Beweis. Es ist ja nicht so, dass wirklich etwas fehlen würde bei dieser Platte. Dass dies gelingt, ist die wahre Kunst von Martin Gretschmann, der seit einer Weile in Berlin lebt, nachdem er vor zwei Jahren bei der großen deutschen Indierock-Institution The Notwist ausgestiegen ist. Die Tracks sind mit so viel Liebe zum Detail aufgebaut – all die Breaks, Synthie-Fanfaren und sogar Trance-Signale, die sich durch die Stücke schlängeln – dass man überhaupt nicht merkt, dass man eigentlich etwas Entscheidendes vermissen sollte.

Vielleicht kann sich eine Platte wie „BLD“ nur jemand wie Gretschmann ausdenken, der sich einen gewissen Blick von außen auf die Clubkultur bewahrt hat, ähnlich wie DJ Koze vielleicht, der vom HipHop kommt und einfach nicht bereit ist, seine Clubmusik nach den Regeln der Branche zu produzieren.

Der Mann, der sich Acid Pauli nennt, war der zauselig wirkende Tastendrücker in einer Rockband mit der Anmutung eines Atomphysikers; unter dem Namen Console deklinierte er alle möglichen Spielarten elektronischer Musik durch, um sich dann als Club-DJ vermeintlich noch einmal neu zu erfinden, befreit von allen Bandkonstellationen, als Alleinunterhalter.

So gut Acid Pauli nun als Party-DJ auch auf den herausforderndsten Raves funktionieren mag: Der Mann mit dem Vollbart, den Wuschelhaaren und dem Nerd-Look scheint jedoch trotz aller Transformationen einfach immer noch auch der Soundtüftler zu sein, als der er einst bei The Notwist bekannt wurde.

Und so gibt Gretschmann seiner Karriere nun einfach einen weiteren Dreh, indem er sein Partytier-Alias Acid Pauli in den Namen eines Klangforschers verwandelt, der die Bedingungen von Clubmusik in der Art eines Wissenschaftlers neu untersucht und trotzdem keine blutleere akademische Klangstudie abliefert, sondern kurzweilige Rappelkistenmusik, die im Clubkontext übrigens hervorragend funktionieren dürfte. Allerdings eher bei der Afterhour.Andreas Hartmann

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