„Das ist Quatsch“

REKORDJAGD Auf der Autorennstrecke von Monza soll am Wochenende ein mythisches Zeitlimit fallen. Unter großem Bohei von Nike sollen ausgewählte Läufer einen Marathon in weniger als 2 Stunden laufen

Asphaltcowboy aus Kenia: Eliud Kipchoge soll es richten Foto: reuters

von Frank Hellmann

Die markigen Schlagzeilen, sie sind schon geschmiedet, bevor der Startschuss ertönt. „Mission to Mars.“ Oder auch „Breaking2“. Es sind die Slogans, die der US-Konzern Nike erfunden hat, um etwas zu erreichen, wovon die Marathonwelt träumt: die Bestzeit über die 42,195 Kilometer unter 2 Stunden zu drücken. Dazu soll an diesem Wochenende ein Trio aus Ost­afri­ka auf der Autorennstrecke im italienischen Monza einem minutiös ausgeklügelten Zeitplan hinterherhecheln. Rund 30 Millionen Dollar flossen in Vorbereitung und Verpflichtung der Protagonisten, zu denen der Olympiasieger von Rio de Janeiro, Eliud Kipchoge, gehört. „Ich werde konstant schnell rennen. Ich schaffe es“, glaubt der Kenianer.

Der 32-Jährige soll ein Durchschnittstempo von 21 Stundenkilometern durchhalten. Zur Veranschaulichung: Das sind 100 Meter in nur 17 Sekunden – und das 422-mal. Kann der menschliche Organismus das auf natürlichem Wege leisten? Die Zweifel verstärken sich gerade wieder, weil Rio-Olympiasiegerin Jemima Sumgong kürzlich bei einer Trainingskontrolle mit EPO aufflog. Kipchoge versicherte, bei ihm gehe im Vorbereitungscamp alles mit rechten Dingen zu. Er führe ein ganz normales Leben, höre gern Musik, putze selbst die Toiletten. Und: „Wir bekommen ganz normales Essen.“

Die erste Idee hat nach eigenem Bekunden der ­britische Sportwissenschaftler ­Yannis Pitsiladis an den ­weltgrößten Ausrüster herangetragen, der sie dann aber abkupferte. Dabei wurden 20 Topläufer unter Laborbedingungen getestet und drei ausgewählt. Neben Kipchoge noch Lelisa Desisa aus Äthiopien und Zersenay Tadese aus Eritrea. Bill Bowermann, Trainer und Mitbegründer von ­Nike, bemühte die Weisheit: „Der wahre Zweck des Laufens ist nicht, Rennen zu gewinnen, sondern die Grenzen des menschlichen Wesens zu ­testen.“

Nicht ganz so euphorisch betrachten die Veranstalter der klassischen Straßenläufe den durchgeplanten Run. „Ich weiß nicht, was das bringen soll – außer einer guten Marketingveranstaltung“, sagt Jo Schindler, Renndirektor beim Frankfurt Marathon. Ein Laborversuch tritt an die Stelle der Volksfeste; damit hat Schindler ein Problem, der das Ganze als „Quatsch“ bezeichnet. Der gebürtige Regensburger stört sich an der Hetzjagd, bei der ein Führungsfahrzeug den meisten Luftwiderstand nimmt und Motorradfahrer die Getränke reichen. „Wenn ich unterwegs die Tempomacher auswechsle, ist das Ganze höchst zweifelhaft.“ Auch die flexible Startzeit, abhängig vom Wetter, sei ein Unding: „Bei uns wird morgens um 10 Uhr angeschossen: Egal ob es schneit oder die Sonne scheint.“ Ein Weltrekord dürfe aus seiner Sicht vom Interna­tionalen Leichtathletik-Weltverband nicht anerkannt werden. Denn: „Armin Hary hat man auch nicht auf eine Aschenbahn mit 3 Prozent Gefälle geschickt, ­damit er Weltrekord rennt“, sagt er.

„Eine Auswechslung der Tempomacher? Höchst zweifelhaft“

Jo Schindler, Frankfurt Marathon

Viele Organisatoren der großen Stadtläufe wittern Verrat am Marathongeist, obwohl Mark Milde, der Rennleiter des Berlin-Marathons, im Spiegel gesagt hat: „Der Weltrekord ist gut für unser Renommee. Aber es würde mir nicht das Herz brechen, wenn wir ihn verlören.“ Wirklich nicht? In Berlin wurden einige Weltrekorde aufgestellt. Auch die aktuell gültigen 2:02:57 Stunden von Dennis Kimetto kamen 2014 am Brandenburger Tor zustande.

Bereits 2014 prognostizierte der Laufexperte und Buchautor Herbert Steffny in seiner Abhandlung „Wann laufen Männer Marathon unter 2:00 Stunden?“, dass die Schallmauer von zwei Stunden erst im Jahre 2028 durchbrochen wird. Einschränkung: „Vergessen wir durch Doping manipulierte Leistungssprünge.“