Alu-Boom trotz Energiewende

Industrie Der norwegische Aluminium-Konzern Norsk Hydro eröffnet heute im nordrhein-westfälischen Grevenbroich eine neue Automobillinie

Die Bedeutung der Energiekosten hat im Mittel aller Branchen abgenommen. Nur für besonders energieintensive Unternehmen sind sie noch ausschlaggebend für die Wettbewerbsfähigkeit

Von Bernward Janzing
und Dario Dietsche

BERLIN taz | Der norwegische Konzern Norsk Hydro will vom Aluminium-Boom im Fahrzeugbau profitieren und investiert kräftig in seinen deutschen Standort. Heute wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre norwegische Kollegin Erna Solberg von der konservativen Høyre-Partei eine neue, 130 Millionen Euro teure Produktionsstrecke eröffnen.

Dies sei die größte Einzelinvestition am Standort seit den 80er Jahren, heißt es aus dem Unternehmen mit Sitz in Oslo. Die jährliche Kapazität für Fahrzeugkarosserieblech aus Aluminium wird damit vervierfacht auf insgesamt 200.000 Tonnen. Beliefert werden sollen Kunden wie Mercedes-Benz, Audi, BMW, Peugeot, Citroën.

Der Konzern baut seinen Standort am Niederrhein aus, obwohl er in den vergangenen Jahren häufig mit Rückzug drohte und warnte, die Energiekosten in Deutschland seien zu hoch. Allerdings verliert dieser Faktor für die Industrie seit Jahren an Bedeutung. Dies zeigt der aktuelle Energiekosten-Index (EKI). Er wird regelmäßig von der European Climate Foundation (ECF) in Kooperation mit dem Öko-Institut und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) veröffentlicht und wurde kürzlich vorgestellt.

Der EKI ging binnen zwölf Monaten um 11,1 Prozent zurück und lag im Dezember 2016 auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der entsprechenden Berechnungen Anfang 2010. In der öffentlichen Diskussion spielen die Energiepreise der Industrie eine große Rolle, weil sie häufig quer durch alle Branchen zum entscheidenden Maßstab der Wettbewerbsfähigkeit gewertet werden.

Doch die jüngsten Analysen zeigen, dass Öl und Gas im Jahr 2016 um 15 Prozent billiger wurden; der Strompreis sank für die Industrie zugleich um 4,4 Prozent, Kohle wurde um 1,6 Prozent billiger. Aktuell entstehen für die Industrie insgesamt 52 Prozent der Energiekosten aus der Strombeschaffung, 35 Prozent aus dem Einkauf von Gas und Öl. Kohle und andere Energieträger spielen nur eine untergeordnete Rolle.

Die nominalen Energiepreise sind ohnehin nicht der entscheidende Faktor. Felix Christian Matthes, Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik am Öko-Institut, sagt: „Relevant für die Firmen sind vielmehr die Energiestückkosten bezogen auf die Bruttowertschöpfung.“

Die Energiekosten müsse man vergleichbar den Lohnkosten betrachten: Für die Unternehmen sei schließlich auch nicht die Höhe der Löhne entscheidend, sondern vielmehr das Niveau der Lohnstück­kosten. Und so ist der Energiekosten-Index der Versuch, die Debatte zu versachlichen.

Die Analyse quer durch alle Branchen zeigt, dass die ­Energiestückkosten bezogen auf die Bruttowertschöpfung zuletzt bei gerade einmal 6 Prozent lagen. Vor einem Jahr betrugen sie noch rund 7 Prozent. Das heißt: Die Bedeutung der Energiekosten in der unternehmerischen Kalkulation hat im Mittel aller Branchen abgenommen.

Der niedrige Anteil der Energiekosten macht deutlich, dass diese nur in besonders energieintensiven Branchen ausschlaggebend für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens sind.

Für die Aluminiumbranche trifft dies zweifellos zu: Für die Herstellung eines Kilogramms Aluminium liegt der Energieaufwand bei durchschnittlich 69 Kilowattstunden. Im Vergleich: Ein Kilogramm Stahl benötigt gerade einmal 6,31 Kilowattstunden. Somit liegt zusätzlich zu den fallenden Energiestückkosten die Reduzierung der Energiekosten anhand Investitionen in effizientere Technologien im Interesse von Hydro.

Die neue Anlage soll demnach 36 Prozent weniger Energie als ähnliche Produktionslinien verbrauchen. Derselben Logik folgend fördert Hydro auch das Recycling von Aluminium: Jedes wiederverwendete Aluminiumstück muss nicht energieintensiv und folglich teuer neu produziert werden. So flossen 2016 rund 45 Millionen Euro in eine Anlage für das Recycling von bis zu 50.000 Tonnen gebrauchter Getränkedosen.