: LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER
Es war im Februar 2011, als eine Unionspolitikerin die Frauenquote für Aufsichtsräte forderte: Ursula von der Leyen. Eine Frau aus einer quotierten, konservativen Partei. Und wir? Wir kamen aus Redaktionen, bei denen teilweise nicht einmal 30 Prozent der angestellten Journalisten Frauen waren. Redaktionen, deren Männerführungsanteil schon mal bei über 90 Prozent lag.
Die Wut gebar die Idee. Wir entschlossen uns, einen Brief zu schreiben. An alle Chefredakteure in Deutschland. Wir wollten ebenfalls die Quote fordern: moderate 30 Prozent. Die allerdings auf jeder Führungsebene, bis in die Chefredaktion.
Mehr schien auch nicht drin zu sein, in den Redaktionen, in denen der gesamte Anteil an Frauen erheblich darunterlag. Unter den Chefredakteuren waren sogar nur 2 Prozent weiblich.
Die Idee mit dem Brief fand Anhängerinnen und Anhänger. Jede Unterschrift generierte neue Unterschriften, von Kollegin zu Kollegin, der Schneeball wuchs, vom Abendblatt über den Tagesspiegel über die taz zum Spiegel zur FAZ zur Welt, zum ZDF, WDR, NDR.
Am 28. Februar ging die Mail mit 350 Unterschriften raus, an mehr als 220 Chefredakteure, Verleger und Herausgeber.
In der Zeit versprach Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, in fünf Jahren das Ziel von ProQuote erreichen zu wollen. Der stern ging weiter: 50 Prozent!
Das waren die öffentlichen Verlautbarungen. Doch auf den Brief antworteten nur 32 von 220, trotz Nachfrage („Haben Sie den Brief bekommen?“ „Wann antworten Sie?“). Beharrlich schwiegen sie, etwa die Herren von FAZ, Spiegel, Süddeutsche Zeitung. Und heute, ein Jahr später, schweigen sie wieder (siehe Seite 9).
Wovor haben sie Angst? Sind sie überfordert? Verstehen sie nicht, dass ein Teil der gegenwärtigen Medienkrise auch ein Ergebnis männlicher Monokultur in den Redaktionen ist? Können Zeitungen und Magazine, können Webmags und Sender die Bedürfnisse unserer vielfältigen, sich ständig verändernden Gesellschaft abbilden, wenn weiterhin fast ausschließlich Männer das Sagen haben? Wenn fast ausschließlich Männer über Inhalte und Tonalität bestimmen? Über kreative Abläufe, Kommunikationsstil und Strukturen? Mal ganz ehrlich: Verspricht das Erfolg?
Wir Journalistinnen fühlen uns in der Pflicht, etwas zu ändern, damit unsere Redaktionen das Leben „draußen“ besser abbilden. Damit unsere Leser und Leserinnen, Zuhörer und Zuschauerinnen auch von uns informiert werden. Damit auch wir entscheiden, was eine Nachricht ist, was ein gutes Bild, welche Themen aufgegriffen werden und in welchem Ton. Deshalb haben wir einen Verein gegründet, im Juni: ProQuote Medien e. V.
ProQuote hat etwas bewegt, die Zeit bekommt demnächst die erste stellvertretende Chefredakteurin, der Spiegel hat erstmals eine Auslandsressortleiterin, der stern gibt sich zwar nicht die Quote, aber einen 50-Prozent-Chefinnen-Anteil. Alles löbliche Anfänge, aber der Weg ist noch weit. Machen Sie mit. Fördern Sie uns, werden Sie Mitglied!
In dieser Ausgabe bieten wir Ihnen einen Blick hinter die Kulissen einer Branche, die über sich selbst am liebsten schweigt. Oder wussten Sie, dass es prozentual mehr weibliche Vorstände als Chefredakteurinnen in Tages- und Wochenzeitungen gibt? Mehr weibliche Aufsichtsräte als Leitartiklerinnen?
Annette Bruhns ist Chefredakteurder Quotentaz.