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Ein Geist war auch dabei

HOMMAGE Das Konzerthaus ehrt den Pianisten Alfred Brendel mit einer Konzertreihe, die von ihmselbst kuratiert wurde. Dabei gab es unter anderem absurde Gedichte aus Brendels Feder zu hören

von Katharina Granzin

Dass der Geist von Franz Schubert einmal als dicker Brummer wiederkehren würde, hätte man sich auch nie träumen lassen. Aber wer sonst sollte es sein, der diesem Insekt seine irre Kühnheit eingibt? Kurz vor dem Ende des letzten Satzes von Schuberts Streichquintett in C-Dur kommt es quer durch den Konzertsaal geflogen, um sich auf dem Bogen des ersten Geigers Pierre Colombet niederzulassen. Dort harrt es, obwohl es ein wahrer Höllenritt sein muss dort oben, sicher ein, zwei Minuten aus, lässt sich dann hinabplumpsen, um nun auf dem Steg der Geige zu sitzen.

Möglicherweise soll dies eine pantomimische Umsetzung der Schubert’schen Todesnähe sein, von der Alfred Brendel in seiner Konzerteinführung gesprochen hat? Aber der Käfer verzichtet darauf, seine kleine Szene bis zum Äußersten zu treiben, und fliegt punktgenau vor den letzten Takten wieder davon, ganz als wolle er den Musikern während der finalen Schlusskadenz nicht die Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft stehlen. Als ob das möglich wäre!

Denn wer in der Lage ist, den Geist Schuberts zu evozieren, hat das irdische Publikum eh schon längst mit Leib und Seele in der Tasche. Das Ensemble Quatuor Ebène, das, verstärkt durch den Cellisten Adrian (Alfreds Sohn) Brendel, an diesem Abend als Quintett auftritt, hat mit diesem späten Schubert für eine jener sehr seltenen Sternstunden im Leben eines Konzertbesuchers gesorgt, in denen es scheint, als seien nicht nur die Musiker völlig eins mit der Musik und miteinander – was für ein grandios organischer, fünfköpfiger Klangkörper! –, sondern wir alle, die wir da sitzen, seien gleichsam Gefäße, in die der reine Geist der Musik sich ergieße.

Lieblingsmusik

Es ist eine seltene Form der Hommage, die das Konzerthaus dem hochverdienten Musiker Alfred Brendel gerade angedeihen lässt. Der Pianist, als Schubert-Interpret schon jetzt in die Musikgeschichte eingegangen, ist inzwischen 86 Jahre alt und tritt seit Jahren nicht mehr öffentlich als Instrumentalist auf. Doch Brendel hat noch andere Talente. Das Nachdenken über Musik hat er schon immer auch in Textform kultiviert, er schreibt absurde Gedichte, er hat schon Filmreihen kuratiert (unter anderem in Berlin vor ein paar Jahren im Arsenal). Und nun hat das Konzerthaus ihn zum Kurator einer zweiwöchigen Konzertreihe bestellt, für die er sich seine Lieblingsmusik und seine LieblingsinterpretInnen zusammenstellen durfte.

Es ist ein Programm ohne große Überraschungen, im großen Ganzen um Beethoven und Schubert herumgewoben; aber natürlich hat man sich den Brendel nicht irgendwelcher programmatischer Innovationen wegen ins Haus geholt, sondern sicher, weil man ihn selbst auf diese Weise auch noch einmal auf die Bühne locken kann. Jedenfalls als Rezitator.

Wundersam verschoben

An jenem vergangenen Sonntag also, als im Konzerthaus einen Nachmittag und Abend lang verschiedene hochkarätige Ensembles Beethovens und Schuberts späte Streichquartette spielen, kommt der Geehrte persönlich, um vor den letzten beiden Konzerten einen Einführungsessay zu verlesen und – im Falle von Schubert – sogar noch einmal zur Demonstration des Gesagten ganz kurz in die Tasten des Flügels zu greifen.

Das irdische Publikum haben sie eh längst mit Leib und Seele in der Tasche

Es ist ein kostbarer kleiner Moment, der wehmütig stimmt, noch während er dauert, weil er gleich wieder vorbei ist und weil er beiläufig spüren lässt, dass auch noch so wohlgesetzte Worte kaum mehr sind als ein hingekleckster Fliegendreck neben der zauberischen Flüchtigkeit der Musik.

Aber natürlich gibt es auch solche Momente, in denen Musik und Wort einander in wunderbarer Eintracht ergänzen. Ein solches Erlebnis hatte der vergangene Freitag zu bieten, als in einem denkwürdigen kleinen Late-Night-Konzert Alfred Brendel gemeinsam mit Pierre-Laurent Aimard auftrat. Der bekam an diesem Abend die Gelegenheit zu zeigen, dass er nicht nur ein fantastischer Pianist und Interpret Neuer Musik ist, sondern auch als Percussionist und sogar als Pantomime eine gute Figur macht. Aimard nämlich spielte im kleinen Saal des Konzerthauses kleine Stücke von Ligeti und Kurtág (mit Vornamen je György), die ihren Witz oft aus einer fixen Idee beziehen, deren Realisierung nicht immer mit rein musikalischen Mitteln möglich ist. Dazwischen las Brendel seine Gedichte, deren spezieller Humor sich ihrerseits gern durch kleine fixe Ideen schraubt oder die wundersam verschobene Momentaufnahmen des Daseins bieten. In einem Gedicht jenes Abends trat ebenfalls ein Geist auf. Aber der von Brahms (und es ist ein rechter Quälgeist).

Anfang nächster Woche kann man im Konzerthaus die monumentalen Brendel-Konterfeis schon wieder von der Fassade holen, denn die Hommage-Wochen gehen nun ihrem Ende zu. Noch zwei große Konzerte stehen heute und in den nächsten beiden Tagen an, mit je einem Beethoven-Klavierkonzert im Zentrum. Den Abschluss des Programms gestalten am Sonntag Alfred Brendels Schüler Kit Armstrong am Klavier und Adrian Brendel am Cello mit einer Duo-Matinee.

Und wer Alfred Brendel aus seinem Musikerleben plaudern hören möchte, hat am Freitagabend die Gelegenheit dazu.

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