: Die wunderbare Welt der Hirschgeweihe
Natalie Tenbergs Gastrokritik: Die Schwarzwaldstuben in Berlin-Mitte schaffen Gleichgewicht zwischen Ironie und Hommage. Vor allem schmeckt es
Ironie ist eine feine Gabe. Nicht jeder, der sich an ihr probiert, besitzt sie auch. Das führt in den Wohnzimmern deutscher Mittzwanziger mitunter zu seltsamen Stilblüten: ein Geweih über der Minibar im Wohnzimmer und der Gartenzwerg zum Selberanmalen von Manufaktum. Sollte Ironie nicht auch immer mit einem Schuss Klugheit gepaart sein, um auch komisch zu sein? Die unkomische Ironie ist leider inzwischen auch in der Gastronomie verbreitet: Je altbackener ein Laden wirkt, desto höher kann sein Wert beim vermeintlich modernen Publikum sein. Allzu oft zieht diese Formel nur kurzzeitig. Am Ende bleibt der Laden was er ist: ein Drecksloch.
Ein Beispiel für eine geglückte ironische Anlehnung in der Gastronomie sind hingegen die Schwarzwaldstuben in Berlin-Mitte. Gut, die Einrichtung sieht tatsächlich aus wie aus einem Katalog der Albträume: Hirschgeweihe, Hirschbilder, biedere Eichenfurniermöbel. Doch als Ausgleich steht ein langer und einladender Tresen im hellen Ecklokal, und bei genauem Hinsehen erkennt man das feine Gespür der Inneneinrichter: Kuckucksuhren und Bommelhüte sucht man hier vergeblich!
Das Fehlen des Stereotypen verleiht den Stuben ein gesundes Gleichgewicht zwischen Ironie und Hommage. Dass sich auch ältere, womöglich gänzlich unironische Hirschfreunde in den Stuben wohl fühlen, verleiht dem Lokal auch noch eine sympathische Note. Von oben herab wird von der punkigen Bedienung niemand behandelt – weder ein David-Beckham- noch ein Caroline-Reiber-Verschnitt. Auch das unterscheidet die Ironie vom billigen Zynismus: eine zugrunde liegendes freundliches Gemüt und die Akzeptanz des Anderen.
Ein älterer Gast, in Beige, am Nebentisch lacht lauthals, als er seine Schupfnudeln serviert bekommt, freut sich über die Größe der Portion, und die Kellnerin lacht mit ihm. Die Konsistenz des süddeutschen Kartoffelsalats ist gut, die Kartoffelscheiben schön fein. Dafür muss der Gast nachsalzen, was aber wohl am würzigen Flammkuchen mit Ziegenkäse und Tomaten liegt, der vorher gegessen wurde. Obwohl das Schäufele, eine Art Kassler, ordentlich daherkommt, mag man nach dem Flammkuchen nichts anderes mehr essen als diesen.
Spätestens nach dem Essen kommt beim Gast ein wohliges Gefühl der inneren Wärme und Geborgenheit auf. Ach, wäre nur mehr Zeit, man würde länger bleiben. Um trotz der sentimentalen Anwandlungen ein hipper Mitte-Mensch zu bleiben, kann man dann auf das Bild vom Elch zeigen und sagen: „Wie scheiße ist das eigentlich.“ Soll man aber nicht. Stattdessen lieber ganz unironisch wiederkehren.
SCHWARZWALDSTUBEN, Tucholskystr. 48, Berlin-Mitte, Tel: 0 30-28 09 80 84, U-Bahn: Oranienburger Tor, täglich ab 9 Uhr geöffnet; Hauptgerichte ab 4,90 Euro, Basisfrühstück 4 Euro, www.schwarzwaldstuben-berlin.de