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Akustische Spurensuche

KINO Der Tonfilm erschloss die Stimme als filmisches Ausdrucksmittel. Das Arsenal widmet dem Sprechen eine Filmreihe

von Thomas Groh

Die menschliche Stimme war für den größten Teil der Geschichte strikt an die Anwesenheit eines Körpers gebunden: Wo Stimme, da Präsenz. Doch zwei Erfindungen der 1870er Jahre haben diese Bindung aufgebrochen: Über Graham Bells Telefon treten nicht mehr nur Scharlatane und psychisch Kranke tagtäglich mit Geisterstimmen in Kontakt, sofern man unter Geisterstimmen entkörperlichte Präsenzen versteht. Als Thomas Alva Edison wenig später seinen Phonographen entwickelte und damit neben der Entkörperlichung der Stimme schließlich auch deren Reproduktion gestattete, dachte der geschäftstüchtige Ingenieur nicht an Popmusik, um damit Geld zu machen. Sondern er legte den Käufern nahe, der Nachwelt eine akustische Spur über das eigene Ableben hinaus zu überlassen.

Seitdem ist nicht mehr nur denkbar, sondern auch hör- und erlebbar, dass Tote aus dem Jenseits sprechen. Wie in Billy Wilders Film Noir, „Sunset Boulevard“ (1950), mit dem das Kino Arsenal am 1. Mai eine Reihe über Stimme und Sprechen im Film beginnt. Im noirtypischen Voice-over erzählt der glücklose Drehbuchautor Joe Gillis (William Holden) darin, wie es dazu kam, dass er bereits zu Beginn des Films erschossen im Pool einer Hollywoodvilla schwimmt.

Der Weg dorthin führt über die vom Business längst vergessene Stummfilmdiva Norma Desmond (Gloria Swanson): Während ihr Ruhm einst von stimmlosen Körperbildern zehrte, bleibt von Gillis nur eine körperlose Stimme – während sie wie ein Gespenst, gefangen in ihrer eigenen Vergangenheit, durch ihre Gothicvilla zieht, handelt der Film davon, wie Gillis seinerseits zum Gespenst wird. Eine böse Ironie, der ein i-Tüpfelchen noch dadurch aufgesetzt wird, dass Desmonds erster Auftritt tatsächlich auf der Tonspur erfolgt.

Für viele Schauspieler bedeutete der Siegeszug des Tonfilms das Ende ihrer Karriere – ihre Stimmen taugten nicht fürs Kino. Eine tragische Fußnote der Filmgeschichte, die sich „Sunset Boulevard“ zunutze macht. Doch umgekehrt erschloss der Tonfilm Stimme und Sprache auch als filmisches Ausdrucksmittel. Dialekt, Milieusprache oder die Textur unebenen Stimmschnarrens fanden zuvor kaum Eingang in die allgemeine ästhetische Produktion – in den Tonfilmen Karl Valentins (V wie F gesprochen, bitteschön!) wurden sie zum zentralen Gestaltungselement. Gemeinsam mit seiner Partnerin, der begnadeten Liesl Karlstadt, erweiterte der Bühnenklassiker sein im Stummfilm noch auf surreal-dadaistische Situationskomik setzendes Filmrepertoire um eine dezidiert akustische Komponente: In absurden Kurzfilmen wie „Im Schallplattenladen“ oder „Der verhexte Scheinwerfer“ (beide 1934) setzte er nicht nur der spezifischen Komik der bayerischen Borniertheit ein Denkmal, sondern auch dem Klang des Münchner Idioms.

Vergleichbares leistet auch Pasolinis 1961 im römischen Elendsviertel spielende Passionsgeschichte „Accattone“: Wie Dante in der „Divina Commedia“ einst das mittelalterliche Volksitalienisch der Schriftsprache zuführte und bewahrte, bewahrt auch Pasolini in seinem mit Laien gedrehten Film die Lebensweise des italienischen Lumpenproletariats und die spezifische Anmutung ihrer gesprochenen Sprache.

Pasolini bewahrte mit „Accatone“ die Sprache des Lumpenproletariats

Auch Jean Eustache interessiert sich leidenschaftlich dafür, wie Leute eines Milieus miteinander sprechen: In „La Maman et la Putain“ (1973) kreist die Pariser Bohème nach der gescheiterten Revolte von 1968 in endlosen Gesprächen um sich selbst.

Solchen Auswuchtungen des Sprachklangs stehen ästhetische Konzeptionen gegenüber, die auf Nüchternheit abzielen. In „Katzelmacher“ (1968) seziert Fassbinder den schwelenden Rassismus einer Gruppe junger Vorstadtmünchner durch lähmend-zähe Dialogruinen, in denen der Münchner Dialekt nurmehr als Schwundform seiner rustikalen Qualität vorkommt. In Romuald Karmakars Essayfilm „Hamburger Lektionen“ kontrastiert Manfred Zapatkas nüchterne Rezitation zweier Hasspredigten aus der Hamburger Al-Quds-Moschee mit deren aufpeitschenden Inhalt.

Es lohnt sich, vom Primat des Visuellen im Kino einmal buchstäblich abzusehen. Die spannende Filmreihe des Kinos Arsenal demonstriert, dass auch Stimme und Sprache einen ganz eigenen Resonanzraum historischer Erfahrungen bieten.

Magical History Tour: Stimme, Sprache, Sprechen im Film: Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2, 1.–31. 5., www.arsenal-berlin.de

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