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Vom Punk gezeichnet

MEHR ALS DREI AKKORDE Eine Art All-Star-Band: Hinter Ratttengold stecken lauter Leute, die schon bei Angeschissen,Oma Hans oder Blumen am Arsch der Hölle dem deutschsprachigen Punk das Doofe ausgetrieben haben – und mitten drin: Sänger Jens Rachut

von Robert Matthies

Wer den Satz als Erstes in Stein gemeißelt hat? Das ist heute nicht mehr zu klären. Aber wann immer es um diesen Typen geht, mag kaum ein Rezensent, kaum ein Konzertankündigungs- oder Bandporträtschreiber verzichten auf die vermeintlich so griffigen Assoziationsketten, die sich ans Zitat mit der unklaren Herkunft knüpfen lassen: Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist dann bald die Rede vom Urgestein, das der Mann darstelle: „Hamburgs umtriebiges Punk-Urgestein“ namens Jens Rachut.

Da klingt so schön die Gravität an und der Anachronismus, in diesem von Geologen ja vor, nun ja, Urzeiten längst wieder begrabenen Begriff; die Ehrfurcht auch vor etwas, das vor langen Zeiten mal entstanden sein muss, einfach immer noch da ist, dem Kommen und Gehen der Moden und Genres zum Trotz. Und es klingt nach etwas, an dem sich nur verheben kann, wer es zu verstehen versucht – ganz schön schwer, so ein Urgestein.

Und tatsächlich geht es ja auch um quasi Archäologisches, um eine „Ausgrabungsfirma“, „die seltene Kostbarkeiten aus dem Erdreich“ buddelt und die „Fundstücke“ auf einer Wanderausstellung präsentiert. So zumindest wurden die Konzerte von Ratttengold (sic!) in Stuttgart und Berlin in den vergangenen Wochen angekündigt. Am heutigen Samstagabend ist die Band zum ersten Mal in ihrer Heimatstadt Hamburg zu hören.

Aber die Geschichte lässt sich auch ganz schlicht erzählen: Ratttengold nämlich sind nicht weniger (aber eben auch nicht mehr) als Angeschissen, Blumen am Arsch der Hölle, Dackelblut, Oma Hans und Kommando Sonne-Nmilch – beinahe alle Bands also, bei denen dieser Jens Rachut seit Mitte der 1980er-­Jahre schon gesungen hat, als eine einzige Band, die die Grea­test Hits all der anderen spielt.

Also singt Rachut, klar, Andreas Ness spielt Gitarre, Armin Nagel trommelt, Wieland Krämer spielt Bass und an der orgel sitzt Rebecca Oehms – seit den oben noch nicht genannten „Rachut-Bands“ N.R.F.B und Alte Sau dabei. Ness war bei Blumen am Arsch der Hölle, Dackelblut und Oma Hans dabei, Nagel bei Blumen am Arsch der Hölle und Oma Hans, Krämer bei Dackelblut.

Aber zurück zur Gravität: Es war gerade nicht der Name, der Angeschissen Ende der 1980er-Jahre von anderen Punkbands ringsum unterschied. Gegründet von zwei vormaligen Slime-Mitgliedern, ging’s vom naheliegenden Knüppel-aus-dem-Sack-Deutschpunk plötzlich hin zu stoisch vor sich hin mäandernden Gitarren – Wipers statt Chelsea. Vor allem aber ging es textlich nicht mehr ums Bullenverkloppen und Yankees­rauswerfen, sondern um Liebe, Resignation, Selbstmord. Texter und Sänger Jens „Jensen“ Rachut steuerte statt Punk-Klischee und Polit-Parole skurrile kleine Alltagsbeobachtungen bei, irgendwo zwischen bitterer Komik, Zweifeln und Verzweiflung.

Es ist diese Skurrilität, die Rachut, der auch schon als Schauspieler und Hörspielmacher aufgefallen ist, bis heute seinen Sonderstatus beschert. Die Neurosen eines Bullenspitzels, der Einfluss der Architektur auf das Sexualleben, die Rolle des Kochs beim Untergang der Estonia: Jensens Themen, Geschichten und Charaktere wirken abstrus, surreal oder zumindest kryptisch. Aber bei aller Komik, die man da entdecken mag, muss man das alles zugleich auch wieder todernst nehmen: Da bricht ein gerechter Zorn hervor auf die überklar gezeichnete Scheiße da draußen.

Das hat vielleicht alles nichts zu tun mit Kunst oder so, wie es die Goldenen Zitronen Jensen mal auf den vom Leben wie auch von Tättowiernadeln gezeichneten Leib dichteten: Dem Mann geht es um was, und verpackt er es auch in eine eigenwillige Kunstsprache.

Ratttengold + Die sibirischen Falten: Sa, 29. 4., 19 Uhr, Fux Kaserne, Zeiseweg 9 (Einlass ab 18 Uhr, Tickets nur an der Abendkasse)

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