Alles nur nuttige Oberfläche

Über die Ausbeutung der Sexualität zu weiteren, vornehmlich ökonomischen Zwecken: Ein Reader mit Beiträgen zur Porno-Pop-Debatte bestreitet in weiten Teilen den für Popfans plausiblen Zusammenhang zwischen Konsum und Überschreitung

Es spricht die Wehmut mit,Spaß solle endlich wiederso einfach zu habensein wie Sex

VON ROBERT DEFCON

Ein Foto brachte „Terre des Femmes“ auf die Palme. Ein mit Puma-Sportklamotten bekleidetes Mädchen, kniend vor einem Mann, ihr Kopf nicht sichtbar, hat offensichtlich gerade erfolgreich einen Blow-Job erledigt. Die Frauenrechtsorganisation hielt das im Internet kursierende Bild der Frau mit den verräterischen Spermaresten auf dem Schenkel für eine offenbar nahe liegende Eskalationsstufe der Puma-Werbestrategie und beschwerte sich beim Konzern wegen der sexistischen Werbekampagne. Tatsächlich reagierte die Puma AG prompt auf die gelungene Fälschung, distanzierte sich von Urheberschaft und Inhalt und legte entsprechende Rechtsmittel gegen ihre weitere Verbreitung ein.

Das prekäre Foto ist jedoch nicht nur durch den falsch adressierten Sexismusvorwurf mit juridischen Folgen zu einer ungeahnten Bedeutung gelangt. Im Anhang des neuen Sammelbands „Porno-Pop“ wird es Gegenstand von Stellungnahmen einiger der Autoren und verdichtet so die im Buch enthaltenen Beiträge, die sich für die zunehmende „Medialisierung der Sexualität, die Sexualisierung der Medien“ und die „Pornoisierung der Popkultur“ interessieren, zu einer Kontroverse. „Pop“ steht dabei auch in seiner pornografisch infizierten Variante für einen umstrittenen Ort, der sich mit kulturkritischen Verflachungsimaginationen ebenso verbinden lässt wie mit Dekonstruktions- und Überschreitungsversprechen.

Ein Ort, wo einer der Autoren – angesichts von Pumas Einschreiten – zum eher merkwürdigen Generalverdacht gelangt: „Obszönität ist oberstes Gesetz der neoliberalen Ökonomie“, begrüßt der Herausgeber, der Germanist Jörg Metelmann, das Foto als Wiedereinführung einer „Logik der Transgression“ durch das eiweißhaltige Ausbuchstabieren des Puma-Markenglams: das Blow-Job-Girl als eine Art pornografische Naomi Klein. Demgegenüber schließt eine weitere Stellungnahme die bloße Möglichkeit von Transgression in einer konsumierbar und durch mediale Puffer risikolos gemachten Welt aus, bestreitet also mit kratziger Zivilisationsmelancholie gerade den für Popfans plausiblen Zusammenhang zwischen Konsum und realer Überschreitung. Ein anderer Autor bemängelt das jedes Subversionsversprechen diskreditierende Herrenwitzniveau, das auf einer der Webpages vorherrscht, auf der sich das umstrittene Foto findet. Die auf Gender-Studies spezialisierte Slawistin Brigitte Obermayr hingegen winkt dann endlich cool ab: „Sehen wir’s doch mal so: Guter Blow-Job, Mädchen.“ Das Porno-(Pop-)Zeichen erweist sich, weil es ein ganzes Feld von polarisierten Stellungnahmen antriggert, als Verhandlungsterminal für die Frage nach Bedeutung, Legitimation und Authentizität kultureller Zeichen.

Die vom Buchuntertitel „Sex in der Oberflächenwelt“ angedeutete Tendenz, pornografische Zeichen als bloße Oberflächen hauptsächlich doof zu finden, sieht sich durch die einleitenden Buchbeiträge erst mal bekräftigt. Den Germanisten Clemens Pornschlegel etwa verschreckt das durch Pornografie und Prostitution automatisierte Bedürfnis. Er favorisiert eine Art authentischen Wunsch, der nicht mehr bloße Bedürfnisbefriedigung sei und auf Konsum von „Objekten“ verzichte. Der Objektkonsum bezeichnet für Pornschlegel einen defizienten, sexuell gewalttätigen, mit neoliberalem Marktkapitalismus verbundenen Modus, die Lüste zu gebrauchen. Folglich deutet er in angestrengt gelangweiltem Ton nackte Coverschönheiten als Oberflächendesign für „Triebtrottel“, die sich über die billige Optik freuen. So, als wäre gerade das Covergirl ein Signum verrohender Sexverhältnisse. „Was als sexuelle Befreiung und Fortschritt auftritt“, generalisiert er, „entpuppt sich als Freisetzung des weiblichen Körpers für den universalen Markt“, als sexuelle Geworfenheit in eine Welt Houellebecq’scher Kälte. Houellebecqs literarische Injektion ist so in einer marxistisch geprägten Liberalismuskritik heimisch geworden, wird aber den prüden Muff, den bereits die Marx’sche Äquivocation von Ware und Hure, Warengesellschaft und universalisierter Prostitution in sich birgt, nicht los. So bemängelt Pornschlegel mit gewissem Recht die Verwendung der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen als implizit rassistisches Kampfmittel gegen Kopftuch und Islamismus. Sein anti-rassistischer Drive wirkt dann allerdings eher schal, wenn er mit dem Seitenhieb verquickt wird, dass „Shoppen und Verführen die Basiskompetenzen der modernen Frau sind“. Alles nuttige Oberfläche eben. Das Lob des frommen Wunschs verkommt zur Denunziation weiblich-westlicher Verrohung.

Auch der nächste Beitrag bläst ins gleiche kulturlarmoyante Horn: Im „System Öffentlichkeit“ habe eine „Ausweitung des Felds der Prostitution“ mit der Kamera als „erigiertem Riesenphallus“ stattgefunden. Im Direktvergleich mit der ebenfalls im Sammelband enthaltenen Analyse des Fernsehens in seiner am Mainstream orientierten Soft-Erotik jedoch wirkt diese Hysterie eher skurril. Ohnehin ist der Vorbehalt gegen das „Feld der Prostitution“ zuweilen bereits Teil des Formats, etwa wenn die erotische Bildsequenz nur unter dem Deckmantel der moralischen Widerwärtigkeit dort zu sehender Eskapaden (Untreue, Betrug, Prostitution) vorgeführt wird. Die Reduktion von „Öffentlichkeit“ und ihrer spezifischen, Sex und Porno sowohl ein- als auch ausschließenden Mechaniken auf rein parasitäre Zuhälter-Hure-Freier-Beziehungen fehlt die begriffliche Feinmotorik, um die Machtlogik der medial verdoppelten, gesteigerten, maskierten und umgelenkten Lüste zu erfassen, wie sie der Vorreiter der Mediengeschichte des Sex, Michel Foucault, im ersten Band von „Sexualität und Wahrheit“ 1976 ansatzweise beschrieben hat.

Während in den einleitenden Beiträgen Porno so beinahe als eine Art Waffe des Kapitals gegen die Linke imaginiert wird, erscheint Porno in anderen Aufsätzen zu Recht auch als ein kritisches Werkzeug. Etwa wenn der Rapper Eminem das white trash-Kleinfamilienparadies pornoistisch sprengt. Oder beim Post-PorNo-Feminismus und der Selbststilisierung zwischen „Bedrohlichkeit und Projektionsfläche“ bei der Porno-Popperin Peaches. Peaches unterläuft so genau die moralische Differenz zwischen Prostitution und bärtigem Anstand, die nicht nur für einige der Aufsätze programmatisch ist, sondern auch für Porno-Pop in den Varianten Christina Aguilera oder Britney Spears charakteristisch bleibt, die ihr mehr oder weniger dreckiges Spiel mit Sex mit einem Ehrbarkeitsdiskurs verschleiern, um Papa Mainstream beim Scharfmachen nicht zu verschrecken. Auch die von Brigitte Obermayr analysierte Verwendung von explizitem Sex durch den russischen Skandalschriftsteller Vladimir Sorokin, etwa um in ideologische Narrative der Sowjetepoche eingeschriebene Gewaltverhältnisse buchstäblich zu machen, kann als kritische Transformation des Begehrens mit den Mitteln von Porno begriffen werden. Das Begehren, das Porno wird, destabilisiert so die Ordnungen, aus denen es stammt, weil es die Reizschwellen aufsucht, wo die Energien kochen. Also genau den ambivalenten Ort, den man oft als „Pop“ bezeichnet. Und schließlich hatte Pop schon immer mit Sex zu tun.

Das bedeutet nicht, dass Porno-Pops geil wippende Hüften die gleichen sind, mit denen schon Elvis die Massen rockte, obwohl auch Elvis seine Tanzschritte der Legende nach unter anderem beim Tabledance abgekupfert hat. Doch die Eskalationshypothese eines „Immer geiler, immer härter“, der das Buch „Porno-Pop“ sein Entstehen verdankt, klingt manchmal dann doch eher protestantisch tendenziös. Das Betriebssystem der Lüste hat sich eben verändert, die Kicks und Fetische haben sich verschoben. Wenn es vor vierzig Jahren um Ohnmacht, Schrei- und Weinkrämpfe am Rande von Rockkonzerten ging, geht es heute in manchen Pop-, Rap- und Elektronikstyles – auch – um Geilheit.

Doch wenn Herausgeber Metelmann Porno-Pop folgerichtig zum Slogan verdichtet, Sex solle so einfach zu haben sein wie Spaß, spricht zugleich die Wehmut mit, Spaß solle endlich wieder so einfach zu haben sein wie Sex. Die verkaterte Unruhe nach dem Taumel der Cluborgien, die sich fragt, ob das denn wirklich schon alles war, könnte so die Quintessenz der Porno-Pop-Debatte sein.

Jörg Metelmann (Hrsg.): „Porno-Pop. Sex in der Oberflächenwelt“. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2005. 200 Seiten, 16,80 €