Berliner Szenen: Im Jobcenter
Ein bisschen Panik
Weil ich mein Leben vom Kopf wieder auf die Füße stellen wollte, hatte ich mit dem Jobcenter Kontakt aufgenommen und soll nun vorbeikommen.
In der Nacht kann ich kaum schlafen. Im Kopf laufen Dialoge mit der netten Sachbearbeiterin. Zum Frühstück gibt es Haferflocken in Milch mit Zucker. Haferflocken sind billig und gesund. Sind auch alle Unterlagen dabei? Alle. Bis auf die, die nicht da sind. Und die anderen Unterlagen müssen noch kopiert werden, fällt mir gerade auf.
Ich gehe zur taz. Die haben einen Kopierer. Die Sonne scheint. Die ersten Kollegen trudeln ein. Ich beginne mit dem Kopieren der Kontoauszüge der letzten sechs Monate. Auf den einen Haufen am Boden lege ich die Kopien, auf den anderen die Originale. Plötzlich ist es schon spät, und ich gerate ein bisschen in Panik, als ich merke, dass einige der Auszüge zweiseitig bedruckt sind und ich noch sieben zweite Seiten kopieren muss.
Es ist ein bisschen wie damals bei Ikea, als ich einen Vorhang kaufen wollte und mich nicht entscheiden konnte. Bei Ikea war ich beinahe durchgedreht; in der taz atme ich tief durch und zügle meine Panik.
Wie die meisten rauche ich vor dem Jobcenter noch eine Zigarette. Später holt mich die Sachbearbeiterin. Sie wirkt energischer als die vom letzten Mal. Neben ihrem Computer steht ein Eimerchen mit Weingummis. Ich frage, ob ich mir einen nehmen dürfe. Sie sagt, die seien eigentlich nicht für Besucher, gibt mir dann aber doch einen. Ich bereue sofort meine Frage. Dann fällt mir die Witzzeichnung an der Wand auf. Die dreht sich darum, dass zwei Minuten Lachen genauso viel Gewichtsverlust bewirken wie zehn Minuten Joggen, und dass das lyrische Ich des Witzes nur deshalb zum Joggen geht, um über Joggende zu lachen.
Ich würde gern mehr wiegen, aber so wichtig ist mir das nicht. Eigentlich finde ich es gut, dass ich nächste Woche noch mal vorbeikommen soll. Wie das Finanzamt vermittelt mir das Jobcenter das Gefühl, ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Detlef Kuhlbrodt
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