: Der unbekannte Freund
KörperBeim Theater- und Tanzprojekt „Foreign Bodies“ lauschen 50 junge Erwachsene dem Klang der Organe, lassen Bäuche sprechen und Tätowierungen tanzen – zu sehen am Freitag in der fabrik Potsdam
von Jann-Luca Zinser und Volkan Ağar
„Wer ist unser Körper? Ein alter Bekannter, ein Forschungs- und Experimentierfeld, manchmal Neuland – doch auf jeden Fall kein unbeschriebenes Blatt“, steht in den ersten Zeilen der Ankündigung des trinationalen Theater- und Tanzprojekts „Foreign Bodies“. Die Idee: Wie auch bei vorherigen zwei Begegnungen kommen die TeilnehmerInnen unter einem Motto und in verschiedenen Workshops zusammen, wo sie bewegt, kreativ und unvoreingenommen interagieren. Das Ergebnis der Begegnung zwischen den 50 jungen Erwachsenen aus den Theatergruppen Associazione Bachi de Setola aus dem italienischen Polignano a Mare, Teatro Dispar aus Bilbao und Tarántula vom Offenen Kunstverein aus Potsdam wird anschließend am 21. April in der Potsdamer fabrik auf die Bühne gebracht. Initiiert von Ulrike Schlue und Clara Pujalte ist die Aufführung der lose dritte und letzte Teil einer Zusammenarbeit, der bereits zwei Begegnungen in Spanien und Italien vorausgegangen sind.
Begleitet werden die TeilnehmerInnen von internationalen und ausgebildeten WorkshopleiterInnen aus den Bereichen Theater und Tanz. Deren Aufgabe ist es, den offenen Prozess mit punktuellen Impulsen zu formen, besser gesagt, dem selbstbestimmten Formungsprozess der TeilnehmerInnen eine kreative Stütze zu sein. Ein Drehbuch, eine Geschichte oder ein vorgegebenes Ziel gibt es nicht. Ohne anfängliche Instruktion und große Anweisungen soll der Begriff „foreign body“ – bewusst abstrakt gewählt – im Rahmen der Workshops mit konkreten Ideen und spontanen Interaktionen der TeilnehmerInnen gefüllt werden. Richtig sei alles, was von den TeilnehmerInnen komme und was diese mit dem Thema der eigenen und fremden Körperlichkeit zum Ausdruck bringen wollen, sagt Ulrike Schlue.
Die fabrik Potsdam ist Teil eines großen Kulturgeländes an der Schiffbauergasse. Hier finden sich moderne Proberäume, Spiegelsäle, kleine, große und Freiluftbühnen. In einem Workshop im Spiegelsaal tanzen die TeilnehmerInnen menschliche Organe, in einem anderen bewegen sie sich wie freie Radikale im Raum und finden trotzdem irgendwie zueinander. Der Leiter ruft zwischendurch immer wieder: „Surprise yourselves!“, überrascht euch selbst mit unerwarteten Bewegungen, auch entgegen dem Rhythmus der Musik. Wieder in einem anderen Saal wird mit Technik gespielt. Ein Beamer projiziert Strichmännchen, die die Bewegungen von zwei Tänzern widerspiegeln.
Man merkt, dass die Leute bereits zusammengearbeitet haben, dennoch ist es faszinierend, welch harmonischen Eindruck die Begegnungen in den ersten Workshops machen. Vielleicht liegt das daran, dass mit den Jahren Freundschaften entstanden sind. Auf Facebook herrsche ein reger Austausch, sagt Ulrike Schlue. Außerdem verbringen die Teilnehmer auch die freie Zeit miteinander, erkunden dieses Jahr beispielsweise Galerien in Berlin. Gegessen wird sowieso zusammen, dafür sind vor allem junge Menschen im Bundesfreiwilligendienst zuständig, die auch alle am Projekt teilnehmen.
Im letzten Jahr war die Gruppe im italienischen Polignano a Mare und führte das Stück „EurOpera“ auf, die Geschichte einer Oper, die nie stattfindet. Der Höhepunkt, so Schlue, sei die Arie gewesen, die eine junge Frau im Anschluss gesungen habe. Das wird bei „Foreign Bodies“ nicht der Fall sein, denn dieses Mal wird in den Workshops weder gesungen, noch gesprochen, dafür gesprungen, geschlichen, gewälzt, gerollt und getanzt.
Es geht um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und seiner steten Veränderung, er soll multimedial erforscht werden. Untermalt wird die Performance mit Live-Musik, zu deren Erzeugung auch, man kann es fast erraten, der Körper verwendet wird. Es gibt keine Hauptdarsteller, jeder soll sich nach seiner Fasson einbringen. Dabei soll auch das Selbstvertrauen der jungen SchauspielerInnen und TänzerInnen geschult werden.
Jeder von ihnen wird sämtliche Workshops einmal durchlaufen und dann entscheiden, mit welchem der Bereiche er oder sie sich intensiverer auseinandersetzen möchte – Tanz, Bewegung, Projektionen, digitaler Körper und sogar Puppenspiel sind im Angebot. In den vertiefenden Workshops schließlich vollendet sich die Konkretisierung des abstrakten Mottos, und die losen Ideen aus den anfänglichen Workshops erhalten Konturen, reifen zur finalen Aufführung am 21. April aus.
„Wir erforschen eine Fremdheit, die nichts mit Herkunft zu tun hat. Unsere Suche beginnt bei dem, was uns selbst am nächsten ist“, steht im letzten Teil des Infoblatts für die TeilnehmerInnen. „Natürlich ist das Motto ‚foreign bodies‘ auch politisch“, erläutert Schlue die Idee zur diesjährigen Workshopreihe.
Schlue, die selbst lange Jahre im Wandertheater zu Hause war und Kindertheater organisierte, erzählt, dass es keiner expliziten Anweisungen oder programmatischer Vorgaben dafür bedarf, damit Theater und Tanz politische Aspekte für sich beanspruchen können. In diesem Sinne könne „Foreign Bodies“ als Anspielung auf eine Fremdheit verstanden werden, die Menschen nicht selten ihrem eigenen Körper gegenüber verspüren. Es seien aber auch jene Körper von Interesse, die in der politischen Debatte über Migration und Asyl als „fremd“ markiert und als nicht zugehörig ausgeschlossen würden. Wichtig ist, diese Ausschlüsse zurückzuweisen, aber genauso unerlässlich den Differenzen im Alltag gerecht zu werden. Schließlich gebe es da draußen „viele verschiedene Menschen, die verschiedene Dinge mit ihren Körpern machen“, so Schlue. Auch darauf sucht „Foreign Bodies“ Antworten beim „Körper, unserem unbekannten Freund“.
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