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Leser-Community erneut gesucht

Print Das Stadtmagazin „030“ hat einen neuen Herausgeber, Tim Schäfer. Er setzt auf das Nachtleben

von Andreas Hartmann

Wer es heutzutage noch mit einem Stadtmagazin in Berlin versucht, kann sein Geld auch gleich verbrennen, könnte man meinen. Partysan, Flyer, Prinz, allesamt in den Neunzigern noch florierende Publikationen, sind im Laufe der nuller Jahre ganz verschwunden oder haben sich in reine Online-Plattformen verwandelt. Die beiden seit jeher größten Stadtmagazine in Berlin – Zitty und Tip – kämpfen seit Jahren mit dramatisch sinkenden Auflagen und werden beide zusammen nach zig Verlagswechseln und Kosteneinsparungsrunden inzwischen von einer zusammengelegten Redaktion betreut. Ende der Neunziger verkaufte der Tip noch beinahe 80.000 Exemplare alle zwei Wochen, heute sind es nicht mehr als 22.000, während die Zitty in diesem Zeitraum von knapp 70.000 nach der Umstellung von der 14-tägigen Erscheinungsweise auf einen wöchentlichen Rhythmus vor zwei Jahren auf 14.500 abgestürzt war (Zahlen: Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern, IVW). Ob und wann eines der beiden Blätter ganz dichtmacht, darüber wird schon seit einer ganzen Weile spekuliert.

Tim Schäfer weiß durchaus, welche Probleme Stadtmagazine haben, schließlich arbeitete er jahrelang für die Zitty und bei dem Kostenlos-Stadtmagazin 030, das eine Zeit lang zur Holtzbrinck Verlagsgruppe und danach zum Raufeld Verlag gehörte. Und dennoch will er nun mit einem Relaunch der 030 als Printmagazin versuchen, in einem extrem schwierigen Markt zu bestehen.

Begonnen hatte die 030 im Jahr 1994 als eine Art bunte Werbefläche für Partys. Damals zog alles mit Rave, Techno und Loveparade Werbekunden an wie ein Magnet. Den besten Ruf hatte das Magazin allerdings nie. Inhalte waren oft gekauft, und das Titelblatt der alle zwei Wochen erscheinenden Zeitschrift gehörte demjenigen, der am meisten dafür bot. Nach dem Verkauf der 030 an den Zitty Verlag wurde halbherzig versucht, journalistische Inhalte klarer von der Werbung zu trennen, alles seriöser wirken zu lassen, aber so richtig entwickelten die neuen Besitzer der 030 nie eine Idee, was sie mit dem Blatt anstellen sollen.

Zusammen mit der Zitty wurde die 030 dann an den Raufeld Verlag verkauft, der das Blatt in ein Online-Magazin verwandelte, bis Schäfer den Titel Ende 2015 Raufeld abkaufte, um ihn nun im Eigenverlag herauszubringen. Nach einem weiteren Jahr als Online-Magazin gibt es die 030 seit Ende 2016 nun wieder als Print­erzeugnis, die vierte Ausgabe ist Anfang April erschienen.

Ein Team von drei festen Redakteuren hat Schäfer um sich geschart, mit denen er sich ein kleines Hinterhofbüro in Pankow teilt. Versucht wird hier nun, nicht nur die 030 zu retten, sondern sie neu zu definieren. Berliner Stadt- und Nachtleben, nicht unbedingt für alle, sondern für die „Zwanzig- bis Dreißigjährigen“, so Schäfer, und das umsonst, das ist das Konzept. Zurück zum reinen Werbeblatt mit Gefälligkeitstexten für Anzeigenkunden will Schäfer jedoch nicht, und schon im Editorial zur ersten Ausgabe stellte er klar, dass es gekaufte Titelgeschichten in Zukunft nicht mehr geben werde. Das Heft erscheint außerdem nicht mehr alle zwei Wochen, sondern nur noch einmal im Monat. Außerdem liegt das Blatt nicht mehr massenhaft bei Mc Donald’s und in Multiplex-Kinos aus, sondern es werden, so Schäfer, „nur noch 10.000 Hefte gedruckt, die an 150 ausgewählten Orten in Berlin verteilt werden“.

Dass es funktionieren kann, durchdacht eine bestimmte Zielgruppe anzuvisieren, das beweist in Berlin vor allem die sich an die schwullesbische Community richtende Siegessäule, von der relativ konstant in den letzten Jahren Monat für Monat um die 60.000 Exemplare kostenlos in der Stadt verteilt werden. Die Siegessäule ist damit sicherlich eher ein Grund für Schäfer, an den Erfolg des eigenen Blatts zu glauben, als Zitty oder Tip.

Inhaltlich ist die 030 weiterhin ein Kessel Buntes aus sehr vielen Party- und Konzerttipps, Buch- und Plattenempfehlungen und ein paar Neuigkeiten aus der Berliner Kunst- und Theaterwelt. Wobei bei Letzterem eindeutig nicht das Hauptinteresse liegt und Kino auch sehr kurz kommt, was vor allem daran liege, so gibt Schäfer zu, dass er nicht auch noch einen Filmkritiker bezahlen könne.

Was neu ist für die 030 und womit versucht werden soll, mit Inhalten zu punkten, das sind die Titelgeschichten der relaunchten Zeitschrift. Gleich in der ersten Ausgabe der 030 gab es eine Story über Sexpartys in Berlin, bei der sich der 40-jährige Schäfer sicher ist, dass der Tip diese wahrgenommen hat, bevor er dasselbe Thema kurz darauf zur eigenen Titelgeschichte gemacht hat. Und der sauber gemachte, von mehreren Interviews flankierte Titel im März über junge Obdachlose in Berlin könnte ähnlich auch in der Zitty stehen.

Derzeit muss der Online-Auftritt der 030 dessen Printversion querfinanzieren, noch trägt sich das Blatt nicht vollständig. Doch Schäfer sagt, er sei guter Dinge, dass sich dies im Lauf des Jahres ändern werde. Ihm gehe es jetzt erst einmal vor allem darum, die Marke 030 wieder sichtbarer zu machen. Dass er zum Erreichen dieses Ziels nun wieder auf gedrucktes Papier setzt und seinen Titel scheinbar vom Online- in ein Printmagazin rückverwandeln möchte, ist wohl der erstaunlichste Aspekt am 030-Relaunch.

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