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„Doch noch mal eine Trophäe“

Europa League Amsterdam ist schon lange keine große Nummer mehr im Weltfußball. Doch gegen Schalke steht Ajax endlich wieder in einem europäischen Viertelfinale

Ajax hat wieder einen Lauf: Kasper Dolberg (v.) entkommt Maciej Dabrowski von Legia Warschau Foto: reuters

aus Amsterdam Tobias Müller

Wenn der FC Schalke 04 am heutigen Donnerstag in Amsterdam vorstellig wird, ist dies für den gastgebenden AFC Ajax ein besonderes Ereignis. Ganze 14 Jahre nämlich ist es her, dass der Klub mit dem riesigen Namen zuletzt im Viertelfinale eines europäischen Wettbewerbs antrat. Damals schied man in der Champions League gegen den AC Mailand aus. Die Europa League, in der mit dem heutigen Duell die heiße Phase anbricht, war damals noch als „Uefa-Pokal“ bekannt. Gerne auch als „Verlierer-Cup“ geschmäht.

Die aktuellen Amsterdamer Spieler gingen zu jener Zeit in die Grundschule. 22,7 Jahre alt ist der durchschnittliche Ajacied in dieser Saison. Drei Kickern in den Dreißigern stehen ein gutes Dutzend gegenüber, die 21 oder jünger sind. Eine Rasselbande, die in den letzten Wochen für Schlagzeilen sorgt: nicht nur durch den überzeugenden Auftritt im Achtelfinale gegen den FC Kopenhagen, sondern auch in der Ehrendivision, der niederländischen Ersten Liga. Innerhalb einer Woche machte man fünf Punkte auf den alten Rivalen Feyenoord Rotterdam wett, der vier Runden vor dem Ende nur noch einen Punkt Vorsprung hat.

Kein Wunder, dass Klublegende Bennie Muller dem Saisonendspurt mit Zuversicht entgegensieht. „Ajax ist im richtigen Moment in Form gekommen“, so Muller zur taz. Der 78-Jährige, in den sechziger Jahren fünfmal Meister und Europacup-Finalist, schöpft daraus Hoffnung. „Wenn man die letzten Wochen sieht, denkt man: Vielleicht können sie doch noch mal eine Trophäe gewinnen.“

So wie dem ehemaligen Oranje-Kapitän geht es zurzeit vielen im Umfeld des Klubs. Man spürt durchaus so etwas wie Euphorie anlässlich der jüngsten Erfolge, zumal der mehr als holprige Saisonstart eher Anlass zu schlimmsten Befürchtungen gegeben hatte. In der Meisterschaft fand das Team nicht in die Spur, aus der Qualifikation zur Champions League schied Ajax wieder einmal aus, und der neue Trainer Peter Bosz, von israelischen Spitzenclub Maccabi Tel Aviv, der aber international nicht allzu viel hermacht, gekommen, um Frank de Boer zu ersetzen, schien schon bald kurz vor dem Abschied zu stehen.

Bosz, angestellt in der Hoffnung auf eine Rückkehr zum schwungvollen, attraktiven Offensivfußball, sitzt inzwischen fest im Sattel. Der Umbruch der Mannschaft, zwischen 2011 und 2014 vier Mal in Folge „Kam­pioen“, scheint abgeschlossen. Auch die erneuten Abgänge von Star-Keeper Cillessen oder die Stürmer Milik, El Ghazi und Fischer sind kompensiert. Nicht zuletzt, weil einige Neulinge bemerkenswert gut einschlugen: Andre Onana, der inzwischen unangefochten im Tor steht, Mittelfeldstar Hakim Ziyech oder der kolumbianische Verteidiger Davinson Sánchez.

Hinzu kommen immer wieder Talente aus der eigenen Jugend: Justin Kluivert etwa, der 17-jährige Sohn des Oranje-Altstars Patrick, der zu Jahresbeginn debütierte und sofort seine Chance ergriff. Vor allem aber Mittelstürmer Kasper Dolberg (19), der sich nach einem Jahr in der Ajax-Jugend anschickt, die Tradition dänischer Stars in Amsterdam fortzusetzen. Gegen Schalke wird Dolberg nach überstandener Leistenverletzung gerade rechtzeitig wieder fit.

Der Weltfußballmarkt ist so, dass Ajax Talentelieferant sein muss

Wie Dolberg und Kluivert stammt die Hälfte des Kaders aus der eigenen Ausbildungsabteilung, die immer noch als beste Europas gilt. Seit 2016 ist dies auch offiziell belegt: Einer Untersuchung zufolge spielen nämlich in den ersten Ligen Europas 69 Spieler, die in Amsterdam geschult wurden – ein Rekordwert. Was einerseits die Ajax-Philosophie bestätigt, auf junge Spieler zu setzen. In diesem Sinn wirkt der Name des Clubgeländes – De Toekomst („Die Zukunft“), wo das Herz von Ajax viel spürbarer schlägt als in der „Arena“ – wie ein Versprechen.

Andererseits ist die Arbeitsteilung auf dem globalisierten Fußballmarkt inzwischen so zementiert, dass Ajax Amsterdam kaum eine andere Rolle bleibt. Je schneller sich ein Talent in den Vordergrund spielt, je eher wird es mit finanzstärkeren Klubs in Verbindung gebracht – wie aktuell Verteidiger Sánchez mit Barcelona. „‚In Südamerika ist Ajax bekannt als Tor zu einer schönen Karriere in Europa“, so Sánchez im Fachblatt Voetbal International. Die vielbeschworene Zukunft der jungen Ajax-Garde könnte eine große sein, doch in Amsterdam wird sie kaum liegen.

„Bei spanischen oder englischen Klubs kann Ajax finanziell nicht mithalten“, räumt auch Bennie Muller ein. „Und um Titel zu gewinnen, braucht man teure Spieler, die Ajax sich nicht leisten kann.“ Zugleich weiß er, dass es sich bei der aktuellen Talentgeneration durchaus um eine besonders gute handelt. „Eine, die weit kommen kann.“ Und so hofft er, wie all die Ajacieden, dass sich vielleicht gerade gegen den FC Schalke diese Möglichkeit auftut, dem Lauf der Dinge ein Schnippchen zu schlagen.

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