Grafische Preziosen

The Millionaires Club Zum fünften Mal findet das Festival für Comics und Grafik statt. So international wie in diesem Jahr war es noch nie. Wer über die Kolonnadenstraße flaniert, wird das schnell bemerken

„Ein Comic, das ist eine ganz eigene Sprache“, sagt Marie-Luce Schaller, Illustratorin und Mitgründerin des Festivals The Millionaires Club. „Für einen guten Comic muss man gut schreiben und gut zeichnen können und zwischen beidem eine Balance finden. Er ergänzt nicht bloß Bilder zum Text.“ Das Festival für Comics und Grafik findet vom 24. bis 26. März zum fünften Mal parallel zur Buchmesse statt.

In diesem Jahr zieht der Millionaires Club in die Kolonnadenstraße – jene plattenbaugerahmte, kaum 300 Meter lange Westachse zwischen innerstädtischen Einkaufsmeilen und Johannapark – auf der fernab von Gentrifizierungshotspots kleine Galerien, Cafés und Läden gewachsen sind. Am Samstag und Sonntag zeigen und verkaufen unabhängige Verlage, Einzelkünstler und Gruppen in den Räumen des Kunstvereins Leipzig ihre Arbeiten. Neben Comics finden sich Illustrationen und grafische Arbeiten wie Poster. Was sich hier an den Ständen findet, wird nur in kleinen Auflagen produziert. Oft gibt es nur eine Handvoll Exemplare. Vieles ist per Hand gedruckt und im Selbstverlag erschienen.

Noch nie kamen so viele unterschiedliche internationale Künstler zum Millionaires Club. In der Kunstbuchhandlung MZIN sind mit Joe Kessler und Richard Short zwei britische Comiczeichner vertreten. Gegenüber, im Hopfe, werden Illustrationen des Kanadiers Patrick Kyle gemeinsam mit den Comics von Gina Wynbrandt aus Chicago ausgestellt. Dazu kommen Bilder von Yan Cong, Pigao und Yida – allesamt aus Beijing. Ihre Stile könnten unterschiedlicher kaum sein.

Wynbrandt ist Anfang zwanzig und erzählt von Sitcoms, Teeniekultur und Justin Bieber inspirierte Geschichten, die so eindeutige Titel wie „Someone Please Have Sex With Me“ tragen. Zwischen der überdrehten Dramatik ihrer oft mit viel Pink kolorierten Linienzeichnungen und der schamlosen Direktheit mancher Zeile finden Unmengen allzu menschlicher Zweifel Platz.

Im Kontrast dazu drückt sich Yan Cong in teils surrealen Szenen aus, malt flächig und oft in Acryl. In seinen Illustrationen begegnen Menschen, Tiere, Roboter und Fabelwesen einander wortlos. Was die Zeichner verbindet, ist die berührende Abgründigkeit in den Zwischenräumen. Ein paar Schaufenster weiter, im Café Tunichtgut, wird die Sammlung der Siebdruck-Konzertposter des Kollektivs Rainbow Posters ausgestellt. Von Tocotronic über The Notwist bis zu Sleater Kinney haben sie unzählige Bands grafisch dargestellt – in satten Farben und körniger Ästhetik.

Die Gründer des Millionaires Club haben sich vor fünf Jahren auf einem Comicfestival in Lyon kennengelernt, erzählt Schaller. Sie fuhren mit der Idee nach Hause, auch in Leipzig ein Comicfestival zu gründen. Der Großteil des achtköpfigen Organisationsteams hat an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert. Trotzdem sind die Interessen in der Gruppe unterschiedlich. Phillip Janta, Szim und Andrea Rausch sind von Plakatkunst begeistert. Anna Haifisch, James Turek und Max Baitinger, selbst Comiczeichner, kennen sich vielmehr mit Illustration und Comics aus.

Die organisatorische Realität enttarnt den grummeligen Witz im Namen des Festivals. „Das mit dem Ort ist immer ein bisschen schwierig“, erklärt Schaller. „Wir wissen erst im Dezember, ob wir eine Förderung bekommen und wie viel Miete wir zahlen können.“ In diesem Jahr entschied man sich deshalb statt für einen großen, für viele kleine Räume, weshalb die Messe von fünfzig auf zwanzig Stände verkleinert werden musste.

Neben dem Berliner Verlag Reprodukt, einem der wichtigsten unabhängigen Comicverlage im deutschsprachigen Raum, wurde auch der Risoclub Leipzig eingeladen, der sich im Osten der Stadt dem Schablonendruckverfahen mit Risographen widmet. Aus London reist das Künstlerduo Decadence Comics an und die Illustratorengruppe Plusieur Personnes kommt aus Straßburg und Paris.

Oft verändere die Begegnung mit dem Zeichner den Blick auf einen Comic, meint Schaller: Als sie Paul Paetzel, der auch ausstellt, kennenlernte, erkannte sie inmitten seiner Superhelden und Monstergeschichten Motive aus seiner Biografie. Tabea Köbler