heute in Bremen: „Es braucht Kritik“
Vortrag Der Direktor des Ameos-Klinikums über Methoden in der modernen Psychiatrie
51, ist Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie und ärztlicher Direktor des Ameos-Klinikums Dr. Heines in Bremen.
taz: Herr Gonther, wie geht moderne Psychiatrie?
Uwe Gonther: Sie ist ausgerichtet auf die individuellen Interessen und Bedürfnisse der Patienten, die an ihrer Heilung mitarbeiten. Es geht um Nachhaltigkeit. Gerade die therapeutisch ausgerichtete Psychiatrie sollte mit Medikamenten nicht nur kurzfristig Symptome behandeln. Sie sollte helfen, ohne Medikamente zu recht kommen. Dafür muss man Menschen einbeziehen, die selbst Erfahrung mit Krisen und Erkrankungen haben.
Wie bewerten Sie Bremen als Psychiatriestandort?
Es gibt hier ein sehr vielfältiges Angebot. Gut ist, dass es viele Engagierte, Aktive und Mitarbeitende in der Selbsthilfebewegung gibt, mit denen wir zusammen arbeiten können.
Und mit deren Hilfe sollen sich PatientInnen selbst ermächtigen?
Ich würde es Selbstwirksamkeit nennen. Aber auch nicht-psychiatrische Hilfen können für individuelle Genesung eine Rolle spielen, etwa die Gemeindepsychiatrie. Hilfe durch das soziale Umfeld kann viel bewirken: Die Sozialpsychiatrie wurde in den letzten fünf bis zehn Jahren unter dem Stichwort „Recovery“ rehabilitiert.
Was soll das heißen?
Der Begriff steht dafür, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen grundsätzlich von sich aus wieder gesund werden können. Die Versprechen der biologischen Therapie haben sich nicht erfüllt. Professionelle Angebote können hilfreich sein, aber sie haben natürlich ein Eigeninteresse, weiter zu bestehen. Daran braucht es gesellschaftliche Kritik und Input aus der Betroffenen-Bewegung. In der Behandlung muss es darum gehen, wieder auf gesunde Weise aus dem System herauszufinden.
Was halten Sie vor diesem Hintergrund von Zwangsmaßnahmen, wie sie zuletzt in Bremen bekannt wurden?
Zwang muss man immer kritischer sehen und das ist auch gut so. Zwangsmedikation macht Betroffene oft nicht gesünder und jeder Mensch hat das Recht auf eigene Erkrankung. Natürlich können außerordentliche Situationen mit Fremdgefährdungen bei Menschen, die komplett außer sich sind, Zwang rechtfertigen. Sobald derjenige jedoch wieder seinen freien Willen bilden kann, ist der zu achten. Aber auf der anderen Seite kann man auch schwere psychische Erkrankungen ohne Medikamente und Zwang behandeln. Interview gjo
18.30 Uhr, „Psyche im Gespräch“ A-Haus der Ameos-Klinik
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