: 1.000 Takte Beisl-Anarchie
FILM Die Grazer Diagonale war in ihrer 20. Auflage von rarem Material und dem Zusammentreffen von Pop, Punk und Film geprägt. Ein Streifzug durch das Festival
von Carolin Weidner
Zwischen „Kinoeuphorie“ und „Beisl-Anarchie“ wollten Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber, seit vergangenem Jahr Intendantenduo der Grazer Diagonale, jenes Festival des österreichischen Films verortet wissen. So erklärten sie zu Festivalanbeginn vor einer Woche ihr mentales Geleit. Doch damit nicht genug. Für Neugier und Offenheit plädierten beide – keinesfalls nur in Hinsicht auf das bevorstehende Filmprogramm, sondern auch mit Fokus auf aktuelles Geschehen in der Welt, in Europa und in Österreich.
In diesem Zusammenhang verwiesen sie auf die musikalische Botschaft einer österreichischen Popikone, die hierzulande kaum jemand kennt: Hansi Lang. „Keine Angst“ lautet der Titel eines seiner Hits, der, aus dem Jahr 1982 kommend, einmal durch den Saal hallte. Und Lang war es auch, der diese 20. Diagonale, nicht ganz streng genommen, eröffnete sowie beschloss. Leider nicht wahrhaftig: Der Musiker verstarb 2008 in Wien. Aber die Klammer bildeten „Keine Angst“ am Eröffnungsabend und „Hansi Lang – Ich spiele Leben“ als einer der abschließenden Beiträge; Letzteres ein Porträtfilm Rudi Dolezals von 1984, gedreht für die Jugendsendung „Ohne Maulkorb“.
Österreichische Drifter
„Hansi Lang – Ich spiele Leben“ ist ein Film, der selten aufgeführt wird und über den man kaum Informationen findet; auch dies prägte die am Sonntag zu Ende gegangenen Filmfestspiele: viel schwer zu beschaffendes Material gab es zu sehen.
Beispielhaft dafür war eine Sparte der diesjährigen Ausgabe, die sich „1.000 Takte Film“ nannte und ziemlich bemerkenswert und teilweise ordentlich breitbeinig durch alle Tage führte. Von drei verschiedenen Seiten aus wurde dieses Pop-Special zusammengestellt, das sich mit Begegnungsmomenten zwischen Popkultur (beziehungsweise Subkultur) und Film befasste.
Alejandro Bachmann vom Österreichischen Filmmuseum in Wien zeichnete für das aus sechs Einzelprogrammen bestehende „This is not America – Austrian Drifters. Suchbewegungen zwischen Film und Pop (1976 bis 2014)“ verantwortlich, zu dem Rudi Dolezals „Ich spiele Leben“ zählte, aber auch John Cooks Nothing-to-do-Studie „Langsamer Sommer“ (1974–76), in der er gemeinsam mit einem Freund durch ein doch sehr verlassen wirkendes Wien schlurft, über Frauen sinnierend und das Leid, das sie für seine Seele bedeuteten.
Die Probleme in ihrer Entstehung zu zeigen, darum ging es in Niki Lists Film „Malaria“ aus dem Jahr 1982 (ähnlich wie Cook tritt List selbst als Protagonist des eigenen Films in Erscheinung, in diesem Fall als Lieferant von Drogen, hergestellt etwa aus gebratenen Bananenschalen und Räucherstäbchen). „Malaria“ erzählt von dem konfusen, schillernden, beknackten und grandiosen Treiben in einem versteckten Wiener New-Wave-Schuppen – ein echter Geheimtipp, dieser Film; immerhin gibt es ihn auch auf DVD zu erstehen.
Ganz anders verhält es sich da mit Beiträgen wie „Eiszeit“ (1983) von Wolfgang Strobl, der, glaubt man der Diagonale-Flüsterpropaganda, von den beiden Intendanten höchstpersönlich aufgespürt wurde. „Eiszeit“ ist ein 30-Minüter, der im Rahmen eines Filmakademie-Studiums entstand und der das doch erstaunlich trostlose Dasein der ersten Wiener Punk-Generation in Bild und Ton fasst.
Insgesamt stellte es sich als gar nicht allzu leichte Aufgabe heraus, zwischen den 1.000 Takten und neuem österreichischen Filmschaffen zu switchen, auch wenn gelegentlich Überschneidungen auszumachen waren, wie in Peter Ily Huemers Dokumentarfilm „Chuzpe“ (2017) über die gleichnamige, kurz lodernde Punk-Combo.
Thema Angst auch bei den Gewinnern
Zumindest inhaltlich berichten hier zahlreiche Wegbereiter der Band (und zwei verbliebene Mitglieder) davon, was es bedeutet, mit der Losung „Keine Angst“ unterwegs zu sein. Denn der „Beisl-Anarchie“ (tatsächlich ein Titel der Band Chuzpe) haftet auch etwas aufregend Kompromissloses, bisweilen Gefährliches an.
Das Thema Angst behandelten im Übrigen auch einige der Gewinnerfilme: So wurde Lukas Valenta Rinners „Die Liebhaberin“, eine Satire über eine Hausangestellte, die sich einer Gruppe Nudisten anschließt, als bester Spielfilm ausgezeichnet. Kristina Schranz’großartige Dokumentation „Spielfeld“ über den gleichnamigen österreichischen Ort, durch den im Winter 2015 über 100.000 Flüchtlinge ziehen, gewann in der Sparte Beste Kurzdokumentarfilme.
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