Alke Wierth wundert sich über wohlhabende Mieter, die Gepflogenheiten der internationalen Immobilienbranche und den Müll: Neue Nachbarn in Neukölln
Ich wohne in einer der Gegenden von Neukölln, in denen die Mieten bei Neuvermietungen in den letzten drei bis fünf Jahren tatsächlich um knackige 70 Prozent gestiegen sind. Mich persönlich betrifft das nicht, ich wohne schon länger da. Aber ich höre mit atemlosem Schrecken Gerüchte darüber, was neue NachbarInnen mittlerweile an Miete zahlen sollen.
Der wachsende Zuzug von GutverdienerInnen oder deren studierenden Kindern – dem die Herrichtung grau vergammelter Hausfassaden zu strahlend weißen bereits vorausgegangen ist – lässt sich auch sonst optisch im Kiez erkennen: Teurere Autos stehen nun da, es gibt veganes Eis, dänische Designermöbel, italienische Feinkost und viel mehr Sorten Cheesecake als vorher.
Auf die Wohnqualität in meinem Haus hat sich der Zuzug von MieterInnen, die imstande und bereit sind, fantastisch hohe Mieten zu bezahlen, allerdings nicht verbessernd ausgewirkt. Im Gegenteil.
Der Boden des Hinterhofs ist neuerdings in der Regel von aufgeplatzten Mülltüten und deren Inhalt bedeckt. Man watet zeitweise durch Abfall, will man das Hinterhaus erreichen. Irgendjemand, der neu eingezogen ist und viel Müll hat, scheint entweder nicht willens oder nicht in der Lage, diesen in die (richtigen) Mülltonnen zu tun.
Das kann, vermute ich, zwei Gründe haben. Der erste: Unsere neuen Nachbarn, von denen viele aus verschiedenen Ländern neu zugewandert sind, wissen schlichtweg nicht, wie Mülltrennen in Berlin geht. Um nichts falsch zu machen, stellen sie ihre Mülltüten vor und nicht in die Tonnen. Dort reißen sie nachts Ratten oder Vögel kaputt.
Der zweite: Wer Fantasiemieten zahlt und bezahlen kann, geht vielleicht schlicht davon aus, dass er seinen Müll nicht selbst entsorgen muss, sondern dass sich schon jemand findet, der ihn in die richtige Tonne sortiert. Wofür zahlt man so viel, wenn man nicht auch einen gewissen Luxus dafür erwarten kann?
Ein Anruf bei meiner Hausverwaltung gibt einen gewissen Aufschluss. Offenbar wissen die Mieter schlicht nicht, wie Mülltrennung geht.
Die Mitarbeiterin des Immobilienunternehmens, das sich auf seiner Webseite als Global Player darstellt, klingt ein bisschen verächtlich, als sie sagt, dass das bei der Vermietung selbstverständlich nicht erklärt werde: „Also, wer das heute nicht weiß …!“ Außerdem bekämen Neumieter eine Broschüre. In deutscher Sprache, natürlich.
Nach der Unterzeichnung des Mietvertrags ist mit dem Global-Playertum der Verwaltung offenbar Schluss. In der Reaktion auf die Problemlage steht sie jedenfalls in ganz klassischer Vermietertradition: Mehr Tonnen sollen her. Dass die Neumieter dann immer noch nicht wissen, was in welche davon gehört – egal. Die dadurch steigenden Kosten, vom Vermieter verursacht, kann dieser auf die HausbewohnerInnen umlegen.
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