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Archiv-Artikel

Das Humanhündische

KEIN PLATZ FÜR ZARTE MÖPSE An der Neuköllner Oper inszeniert Mario Portmann „Stadt der Hunde“, eine Mischung aus Kiezmelodram und Hundeoper

Es ist in etwa das Gegenteil von „Aristocats“: Treffen sich ein Pitbull, ein Schäferhund und ein Möpschen. Der Pitbull geht aggressiv auf die Mopsdame los, weil sie, wie er brüllt, seine Pissstrecke besetzt. Sie aber kann gar nichts dafür, ist sie doch angeleint und wartet darauf, dass ihr Herrchen zurückkommt. Tritt der deutsche Schäferhund auf, der den Pitbull immerhin vom Mops ablenkt, doch sonst nervös wirkt und sich nur Respekt verschafft, indem er behauptet, er sei bei der Polizei.

„Stadt der Hunde“ ist eine Oper, nein, eigentlich ein Singspiel im handlichen Kammerformat. Die Neuköllner Oper gibt sie in einem schlauchförmigen Kabuff unter dem Dach; nur etwa fünfzig ZuschauerInnen haben hier Platz. So ist man ganz nah dran am Geschehen, an den drei ProtagonistInnen, die da vorne auf dem Gitterrost, der ihre Bühne ist, ihren Kampf um ein würdiges Hundedasein führen. Die Hundemetapher als Bild für ein streetfightfixiertes Kiezleben, in dem jeder sich selbst der Nächste ist und jede zartere Regung als Schwäche gilt, ist in Neukölln so naheliegend wie gewagt.

Doch die junge Dramatikerin Tina Müller, die den Text verantwortet, weiß die gängigen Neukölln-Klischees sicher aufzufangen und so in ihren Figuren zu verkörpern, dass man das Stück nach Belieben als satirisches Kiezmelodram oder eben einfach als Hundeoper sehen kann. Die augenzwinkernde Doppelbödigkeit ist ihr gut geglückt. Und die drei DarstellerInnen changieren in ihrer Körpersprache völlig natürlich zwischen hündisch und menschlich (Choreografie: Julieta Figueiroa).

Am besten gelingt die humanhündische Verschmelzung dem Darsteller des Kampfhunds Nero, Fabian Martino, der als Einziger von der Oper kommt und nicht nur die entsprechende Stimme mitbringt, sondern seinem Pitbull auch eine so überdurchschnittliche physische Präsenz zu verleihen weiß, dass man manchmal tatsächlich einen Hund vor sich zu sehen glaubt. Nina Ahrens gibt eine reizend naive Mopsdame, wenngleich vielleicht etwas zu wenig möpsisch, und der Schäferhund von Christian Beyer läuft mit seiner wenig streetwisen Nervosität nach und nach zu ernsthaft komischer Form auf.

Total tonal

Das alles aber wäre natürlich nicht möglich ohne die Musik der 24 Jahre alten Komponistin Sinem Altan, die bereits bei mehreren Projekten an der Neuköllner Oper federführend war und mit „Stadt der Hunde“ wieder einmal beweist, dass es möglich ist, Musik zu schreiben, die, obwohl total tonal, sowohl intelligent als auch witzig sein kann, ohne ins Triviale abzugleiten. Echte Oper, die auch für Schauspieler singbar ist und die dem Publikum im Laufe eines kurzen Abends regelrecht ins Ohr hineinwächst.

Die Neuköllner Oper hat viele Verdienste. Eines davon besteht darin, das kleine Format zu pflegen. Große Oper ist woanders, die braucht man hier aber auch nicht. Denn in der kleinen Oper liegt die Wahrheit der Straße. KATHARINA GRANZIN

■ Wieder in der Neuköllner Oper: 18./25. November, 2./6./9./19. Dezember, 20 Uhr