: Das Alleinsein in und mit der Welt
BILD Benyamin Reich und Sharon Back stammen beide aus Israel und zeigen in der gemeinsamen Schau „I am the other one – Je estun autre“ ihre Fotografien in der Wilmersdorfer Galerie Z22
Philipp Fritz
Ein Rabbiner auf Skiern sieht gebannt nach vorne, unter ihm weißer Schnee, hinter ihm ein alpines Bergpanorama. Er trägt einen schwarzen Mantel, einen Gebetsschal und einen Schtreimel, jene Kopfbedeckung aus Zobelfell, die für chassidische Juden typisch ist. Beim zweiten Hinsehen merkt der Betrachter: Der Mann hat die Skier falsch herum angeschnallt. Jeden Augenblick könnte er hinfallen. Das Bild zeigt den Vater des Fotografen Benyamin Reich („Father“), aufgenommen 2016 in der Schweiz. Die winterliche Umgebung scheint für den Rabbiner fremd zu sein, er ist weit weg von seinem Zuhause in Bnei Berak, einer vor allem ultraorthodoxen Gemeinde in der Nähe von Tel Aviv. Für Benyamin Reich allerdings ist es nicht leicht, seine Familie, seinen Vater, seine Mutter und die elf Geschwister, dort zu treffen. Die Rituale und Zwänge der Gemeinschaft hat er hinter sich gelassen. Vor Jahren schon, Ende der 90er Jahre, packte er seine Sachen und zog mit einer Bildermappe nach Paris, studierte an der École des Beaux-Arts. Nach seinem Abschluss an der Kunstakademie kam er nach Berlin.
Erstmals stellt Reich nun zusammen mit der ebenfalls aus Israel stammenden Berlinerin Sharon Back noch bis 12. April seine Bilder in der Galerie Z22 in Wilmersdorf aus. „I am the other one – Je est un autre“, so der Titel der Ausstellung, der ohne Probleme nachvollziehbar ist. Ihr Thema ist Andersartigkeit, Fremdheit, Ausgegrenztsein, Heimat und Herkunft. So unterschiedlich die Biografien von Reich und Back sein mögen – Back kommt nicht aus einer besonders religiösen Familie –, die beiden haben teils die gleichen Erfahrungen gemacht. Israel vermissen sie, jeder auf seine Art. Für Reich sind es Wärme und Vertrautheit der Familie und Gemeinde, die ihm fehlen, für Back ist es der acht Monate dauernde Sommer in Israel. Und die Menschen seien dort weniger distanziert als hier, sagt sie.
Reich und Back haben sich in Berlin kennengelernt, sie sind mittlerweile enge Freunde. Über den 39-jährigen Rabbinersohn hat Back ihr Judentum besser kennen und verstehen gelernt, wovon ihre Fotografien zeugen. Eigentlich ist sie eine erfolgreiche Modefotografin, in Israel hatte sie etliche Prominente vor ihrer Linse, und auch in Deutschland hat sie bereits viele Schauspieler fotografiert – aber eben nicht nur für Hochglanzmagazine. Einige ihrer Schauspielporträts, die eine eigentümliche poetische Tiefe und religiöse Symbolik haben, hängen in der Galerie Z22. Da ist zum Beispiel die Schauspielerin Julia Jentsch, aufgenommen 2013, in Schwarzweiß. Ihre Haare sind wirr hochgesteckt, sie zeigt ihre nackte Schulter. Und ihr Blick: Sie schaut zweifelnd und fragend drein, als hätte Sharon den Moment vor dem Auslösen eingefangen. Oder Jeanette Hain. Die Schauspielerin kniet nackt im Nebel, hält ihr Knie, den Kopf neigt sie zur Seite, sodass der Betrachter ihr Gesicht nicht sieht. Ist sie entspannt oder krampft sie? Einfache Antworten gibt es nicht.
Benyamin Reich schließlich ist aus seinem religiösen Umfeld ausgebrochen, vermisst es aber auch. Eine, der es ähnlich erging, ist wiederum die Autorin Deborah Feldman, deren Buch „Unorthodox“ im vergangenen Jahr auf Deutsch erschienen ist. Die in Brooklyn in New York aufgewachsene Feldman erzählt von ihrem Leben in einer Gemeinde der Satmarer Chassiden, die nach sehr strengen Geboten und Verboten leben und sich von vielen anderen etwa dadurch abgrenzen, dass sie die Existenz des Staates Israel ablehnen, da sie glauben, Juden sollen so lange in der Diaspora leben, bis der Messias erscheine. Feldman lebt heute in Berlin – Reich hat sie fotografiert, sie inszeniert mit nacktem Rücken und offenem Haar auf einem weißen Tuch am Wasser sitzend auf Rügen. Dort hat Reich das Bild ohne Titel aufgenommen.
Reich und Back verklären das Religiöse nicht, sie behandeln es aber auch nicht geringschätzig. Die sexuelle Spannung der Bilder dürfte vielen ehemaligen Gemeindemitgliedern Reichs nicht gefallen. Sie sind als Kritik an einer Lebensweise zu verstehen, die freilich nichts für jedermann ist.
Noch bis 12. April, Galerie Z22, Zähringerstraße 22, Wilmersdorf
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