: Immer wieder zurück zur Kohle
FilmporträtAuch Integrationsgeschichte: In seiner Langzeitdoku „Herkules“ begleitete Regisseur Volker Meyer-Dabisch 15 Jahre lang das Leben eines türkischen Kohlenhändlers in Kreuzberg
von Susanne Messmer
Ein Dokumentarfilm über einen Kohlehändler also, na ja. Immer wieder liest man Reportagen über Kohlehändler. Hart arbeitende Männer, deren Beruf auch in Berlin immer überflüssiger wird. Nicht nur wegen des Klimawandels und wegen der Energiewende. Sondern auch, weil in der teurer werdenden Stadt die letzten ollen Kohleöfen abgerissen werden, um komfortableren Heizungssystemen zu weichen. Dabei gäbe es wahrscheinlich viele Mieter, die lieber mit Kohle heizen würden, als an den Stadtrand zu ziehen. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Die Geschichte, die der 1962 geborene Berliner Regisseur Volker Meyer-Dabisch in seinem fünften Dokumentarfilm „Herkules“ erzählt, ist viel, viel spannender. Sie erzählt die Geschichte von einem Herkules, der eigentlich Ahmed Özdemir heißt, und der eben mehr ist als nur ein Kohlehändler.
Er ist eine Typ, der immer geschmeidig bleibt, der viele Rückschläge erleidet, sie stets sportlich nimmt, der sich einfach nicht unterkriegen lässt. Und der sich auch nicht hätte unterkriegen lassen, wenn er nicht mit Kohle, sondern, sagen wir, mit Backwaren oder Schuhen hätte handeln müssen.
Eigentlich keine Zukunft
Ahmed Özdemir muss in den siebziger Jahren aus der Türkei nach Berlin gekommen sein – so genau kommt das im Film nicht zur Sprache, es ist auch nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass schon 2001, als Volker Meyer-Dabisch anfängt, Özdemir zu filmen, klar ist: Kohle hat eigentlich keine Zukunft mehr.
Özdemirs Familie tanzt sozusagen fortwährend auf dem Vulkan. Man sieht die lebenslustige, schlagfertige Frau von Herkules, Sevilai Özdemir, die kichernd versucht, ihren Söhnen das Taschengeld zu verweigern, die ihnen trotz aller Knappheit Hochzeiten ausrichtet, und die heftig mit ihrem Mann flirtet, kurz nachdem der erzählt hat, wie er zuerst an der Eröffnung einer Kneipe und dann an einer Bäckerei scheiterte und damit einen ziemlichen Haufen Geld versenkte.
Immer wieder kehrte der Mann zur Kohle zurück, der brummige, starke, lustige Mann – und sei es nur wegen des Ladens, wegen des turbulenten Lebensmittelpunkts der Familie Özdemir, wo man täglich stritt und sich wieder vertrug, wo man sich liebte und neckte und Nachbarschaften pflegte.
Der Kohle- und Getränkeladen, lag, wie der Film durchblicken lässt, in der Ohlauer Straße, also direkt ums Eck der Wohnung des Filmemachers in der Wiener Straße. Meyer-Dabisch, der sich angenehmerweise als Filmemacher nie versteckt, dessen Stimme immer wieder aus dem Off zu hören ist und der sein tiefer werdendes freundschaftliches Verhältnis zu den Özdemirs nie verbirgt, hat ihn immer und immer wieder besucht, er ist das Herzstück des Films von „Herkules“.
Und dass er das ist, geht einem so richtig eigentlich erst am Ende auf. Da nämlich verbirgt sich die Schlüsselsequenz des Films, der letzte Abend im Laden, bevor Özdemir ihn dichtmachen wird, um anderswo noch einmal sein Glück mit einer Eisdiele zu versuchen.
Der Bart ist ab, die Nut- und Federbrettchen auch, Özdemir scheint die mittlerweile erfolgte Trennung von seiner Frau Sevilai, der er immerhin vor vielen Jahren nach Deutschland gefolgt ist, einigermaßen verwunden zu haben.
Jedenfalls kann er wieder lächeln – und am meisten lächelt er, weil seltener Besuch da ist, Besuch von seinem Sohn Oktay, den der Zuschauer schon kennt, seit er noch ein Teenager war, den er auf seine Hochzeit begleitet hat und der jetzt als Schauspieler arbeitet.
Mit schwieligen Pranken
Oktay sagt nun in all seiner Kaugummi kauenden Lässigkeit die entscheidenden Sätze des Films. Oktay ist hier aufgewachsen, zwischen den Kohlen und dem Holz, sagt er, während sich sein Vater daneben an die Stirn fasst, um seine Rührung zu verbergen. Sein Vater sei immer wie ein Herkules für ihn gewesen, irgendwie mythisch, berichtet Oktay. Und bringt en passant auch zur Sprache, dass sein Vater anfangs, als 19-Jähriger, mit anderen Träumen nach Deutschland aufgebrochen sei, dass er zum Beispiel sehr gut fotografieren konnte. Er kam „mit schönen deutschen Fingern“, sagt er. Nicht mit den dreckigen, schwieligen Pranken eines türkischen Kohlehändlers also.
„So viele Geschichten“, setzt er dann noch einmal an, guckt aus dem Fenster, sucht nach Worten. „Es war ein Treffpunkt.“ Und: „Die Leute haben einfach gespürt, was das hier für Menschen sind.“
„Herkules“ ist ein Film, der ein ziemlich differenziertes Bild davon zeichnet, wie gelungene Integration aussehen könnte. Es geht darum, dass Integration auch ganz anders aussehen kann als eine einfache Ankunft im deutschen Mainstream, als Wohlstand oder Sozialaufstieg.
Und ganz nebenbei erzählt „Herkules“ auch noch vom Wandel im Kiez: In einer Anfang der Nullerjahre eingefangenen Szene sieht man eine Kundin im Laden, die im breiten Berliner Akzent Wodka für ihren Mann holen kommt. 2015 sieht man eine junge Frau in angesagter Trainingsjacke, die einen Sack Anmachholz buckelt, um Ahmed Özdemir beim Tragen zu entlasten.
Am Ende des Films ist Volker Meyer-Dabisch im fünfzehnten Jahr mit seiner unsteten, wackligen, aber neugierigen und genauen Kamera hinter seinem Herkules her. Es ist 2015, der Plan mit der Eisdiele hat nicht funktioniert, wieder ist Özdemir zum Geschäft mit der Kohle zurückgekehrt.
35 Jahre hat er Kohlen getragen, sagt Ahmed Özdemir. Vielleicht wird er auch in den nächsten 35 Jahren noch Kohle schleppen, fügt er an.
Inzwischen wird er älter als sechzig sein. Er lacht, ohne mit seinen Briketts auch nur eine Minute im Treppenhaus stehenzubleiben und nach Luft zu schnappen.
„Herkules“ – Premiere heute am Samstag um 19 Uhr mit Regisseur Volker Meyer-Dabisch im Moviemento, Kottbusser Damm 22; Kinostart am 30. März
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