„So ambivalent ein Aufstieg für Union wäre, für die Sportstadt Berlin wäre er eine Riesensache“

Das bleibt von der Woche Der Widerstand gegen Verdrängung in Kreuzberg trägt Früchte, der FC Union ist auf Erfolgskurs, FußgängerInnen sind nach wie vor die Vernachlässigten, und eine Viertelmillion BerlinerInnen wollen weiter von Tegel aus in die Luft gehen

Starke Signale von Nachbarn

Verdrängung in Kreuzberg

Nun soll die Änderungsschneiderei in der Oranienstraße 35 verschwinden

Kreuzberg for sale – der Winterschlussverkauf im Bezirk hatte gerade Fahrt aufgenommen. Im Angebot: Gewerbeflächen in bester Lage. Doch die fehlende Nachfrage der Bewohnerschaft hat die Profitinteressen durchkreuzt. Die Kreuzberger wollen keine neuen Luxusshops, sie wollen ihre Bäcker, Haushaltswarenläden, ihre Buchhandlung behalten.

Und weil es mit „Bizim Kiez“, „Gloreiche“ und „Zwangsräumungen verhindern“ inzwischen ein stabiles Netz aus Nachbarschaftsinitiativen gibt, haben die ersten Eigentümer kapituliert. Die Bäckerei Filou am Ende der Reichenberger Straße darf nach großen Protesten nicht nur bleiben, sie erhält einen vorbildlichen Mietvertrag; quasi unkündbar und ohne Mietsteigerung. Auch das Haushaltswarengeschäft Bantelmann im Wrangelkiez, ebenfalls bereits gekündigt, kann – auf weniger Fläche – weitere drei Jahre bleiben. Und die Buchhandlung Kisch & Co. in der Oranienstraße hat in Gesprächen mit dem Nachmieter, einer Optikerkette, erreicht, dass diese aus ihrem bereits bestehenden Vertrag wieder aussteigen will.

Also alles gut in Kreuzberg? Nein! Auf einer rappelvollen Kiezversammlung im SO36 am Dienstag schossen die Hände nur so nach oben bei der Frage, wer aktuell von Verdrängung bedroht ist. Nun soll etwa die Änderungsschneiderei in der Oranienstraße 35 verschwinden – nach 32 Jahren. Auch dieses Vorhaben bleibt nicht unkommentiert, bereits am Donnerstag wurde der Druck auf die Verantwortlichen mit einer Telefonaktion erhöht.

Schon jetzt hat die Nachbarschaft im Zusammenspiel mit den gut organisierten Initiativen gezeigt, wie der Verhipsterung der Stadt entgegengetreten werden kann. Und das, ohne auf die Politik zu hoffen. An die Eigentümer ist das ein starkes Signal: Not for sale!

Erik Peter

Scheiße,
wir steigen auf

FC Union

Es gäbe mal wieder ein Bundesligaderby, ausverkauftes Olympiastadion inklusive

Gut möglich, dass der vergangene Montag in die jüngere Berliner Fußballgeschichte als eine Art Wendepunkt eingeht. Mit einer Energie- und Willensleistung hatte der FC Union in der Alten Försterei den Club aus Nürnberg mit 1:0 besiegt – und ist seitdem Tabellenführer der 2. Liga. Es war der sechste Sieg in Folge.

Wie die Stimmungslage unter den Fans der Köpenicker ist, zeigt ein Lied, das in den letzten Wochen vermehrt gesungen wurde: „Scheiße, wir steigen auf.“ Scheiße, weil Union, mehr noch als der FC St. Pauli, das Image des Underdogs pflegt, der in der Bundesliga schnell unter die Räder kommen kann. Freude aber auch über den möglichen Aufstieg, weil sich die Unioner damit für die professionelle Arbeit der vergangenen Jahre belohnen würden.

So ambivalent ein Aufstieg für Union wäre, für die Sportstadt Berlin wäre er eine Riesensache. Mit Hertha und Union hätte Berlin – lange Zeit gar nicht in der Bundesliga vertreten – dann zwei Teams in der höchsten Spielklasse. Und es gäbe endlich mal wieder ein Bundesligaderby, ausverkauftes Olympiastadion inklusive. Zuletzt hatte es solche innerstädtischen Derbys gegeben, als St. Pauli und der HSV sowie der FC Bayern und die Sechziger gemeinsam in der Bundesliga kickten. Lang, lang ist’s her.

Bis dahin aber heißt es für die Mannschaft von Trainer Jens Keller Ruhe bewahren und nicht abheben. Das Restprogramm der Unioner hat es in sich. Bei den Konkurrenten Stuttgart, Hannover und Braunschweig müssen die Köpenicker noch auswärts antreten. Der Abstand auf den Relegationsplatz beträgt derzeit nur drei Punkte. Aber auch das wäre natürlich ein Riesending. Wenn Union nur Dritter würde und den HSV endlich aus der Bundesliga kickte, wären den Köpenickern nicht nur die Herzen der Berliner sicher, sondern ganz Fußballdeutschlands.

Nur eines ist bislang nicht geklärt. Was, wenn die Alte Försterei ausgebaut wird und mehr Zuschauer Platz finden? Sollen die dann alle mit Straßenbahn und Fahrrad anreisen? Fußballdeutschland ist vom Aufwind des FC Union nicht überrascht. Die Berliner Verkehrspolitik schon. Uwe Rada

Zu Fuß gehen wird zum Stress

Verkehrspolitik

FußgängerInnen sind die größte Gruppe der Todesopfer bei Verkehrsunfällen

Mehr Radwege, mehr Tempo-30-Zonen: d’accord. Was die neue Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen) diese Woche und auch davor bereits ankündigte, lässt einen Richtungswechsel in der Verkehrspolitik erahnen. Der ist in vieler Hinsicht überfällig und erfreulich.

Aber nicht in jeder. Denn schaut man genauer hin, fällt auf, dass eine Gruppe Verkehrsteilnehmender in den Plänen nur selten auftaucht: FußgängerInnen. Dabei hat Berlin eine lange Tradition auch als Stadt der FlaneurInnen.

Doch für die wird es zunehmend gefährlich auf den Straßen und Bürgersteigen der Hauptstadt. Denn neben der Gefährdung durch Autos wächst die durch FahrradfahrerInnen. Nicht nur durch jene, die über Bürgersteige heizen. Vielerorts kann man bei Grün für Fußgänger die Straße kaum noch betreten, ohne sich vorher abzusichern, nicht von rasenden Radlern niedergebrettert zu werden, die rote Ampeln für Autos und Fahrräder ignorieren.

Nach wie vor sind FußgängerInnen die größte Gruppe der Todesopfer bei Verkehrsunfällen. Und radlerfreundliche Vorzeigeprojekte des (alten) Senats wie etwa der Moritzplatz in Kreuzberg zeigen, wie der Hase für Fußgänger verkehrspolitisch läuft: nämlich um drei Ecken.

Dort wurden zwar deutliche und breite Wege für Radfahrer geschaffen, um sie besser vor Autofahrern zu schützen. FußgängerInnen wurden dabei jedoch vergessen. Wer nicht imstande ist, den Platz (übrigens über BVG-Privatgelände, das nachts mit Toren verschlossen wird) unterirdisch zu queren – weil er etwa mit Kinderwagen, Rollstuhl oder Rollator unterwegs ist –, muss weit laufen, um einen gesicherten Fußgängerüberweg oder gar eine Ampel zu finden. Am Moritzplatz selbst wurden die vergessen.

An anderen Großkreuzungen wie Hermannplatz oder Kotti gibt es zwar Ampeln. Die aber sind so sehr auf den schnelleren Rad- und Autoverkehr getaktet, dass man als Fußgänger entweder im Galopp um den Platz oder auf jeder Mittelinsel erneut warten muss.

Es macht so immer weniger Spaß, über die berühmten breiten Berliner Bürgersteige zu flanieren. Zu Fuß gehen (müssen) ist zum Stress geworden. Vielleicht sollte die Verkehrssenatorin sich mal mit ihrer inte­grationspolitischen Kollegin beraten. Die hat Erfahrung damit, wie man verschiedene Gruppen unter einen Hut bringt, statt sie gegeneinander auszuspielen.

Alke Wierth

Zwischen Egoismus und Sauersein

Volksbegehren Tegel

Kann sein, dass die Unterschrift für viele ein Ventil des Ärgers über den BER war

Eine Viertelmillion Menschen wollen also den Flughafen Tegel auch nach einer BER-Eröffnung offen halten. Nicht bloß abstrakt, sondern ganz konkret dokumentiert mit einer Unterschrift unter das von der FDP getragene Volksbegehren, dessen Unterzeichnungsfrist am Montag endete und das nur 174.000 gültige Unterschriften brauchte. Überraschen kann das eigentlich nicht: Bei einer repräsentativen Umfrage für die Berliner Zeitung Ende Februar wollten sogar drei von vier Berlinern an Tegel festhalten.

Einen sogenannten Single-Airport haben Berlin, Brandenburg und der Bund (die drei Eigentümer der Flughafengesellschaft) 1996 beschlossen: Tempelhof und Tegel sollten schließen, Schönefeld sollte der einzige Standort sein. Weniger Lärm und mehr Sicherheit sollte das bringen.

Haben die Unterzeichner des Volksbegehrens und ihre weiteren Gesinnungsgenossen also die Haltung: Kann mir egal sein, ich wohne nicht in Tegel oder Pankow, bei mir ist es nicht laut – Hauptsache, ich muss nicht nach Schönefeld raus? Und: Ich bete nicht täglich, dass es dabei bleibt, dass es im dortigen Ballungsraum keinen Absturz gibt?

Kann es sein, dass es auch nichts bringt, auf die vielen Arbeitsplätze und Wohnungen zu verweisen, die in Tegel auf dem dann gewesenen Flughafengelände entstehen sollen? Sehr gut möglich, denn neue Wohnungen am Rand des Tempelhofer Felds für all jene, die eben noch keine hatten, überzeugten bei einem anderen Volksbegehren ja auch nicht.

Kann aber auch sein, dass all das nicht jedem Unterzeichner und Befragten bewusst war. Kann sein, dass die Unterschrift für viele endlich mal ein Ventil war, ihrem Ärger über das fortwährende BER-Debakel Luft zu machen. Bei der Abgeordnetenhauswahl eine andere Partei wählen half nicht weiter, am BER hielten schließlich alle mehr oder minder fest. Und nur aus diesem Grund für die FDP zu stimmen, war auch nicht für jeden das angesagte Mittel. Dann wäre nicht berechnender Egoismus der Grund für den Erfolg des Volksbegehrens, sondern berechtigtes Sauersein.

Bei Letzterem besteht noch Hoffnung auf Ruhe über Pankow. Nämlich dann, wenn der Senat es bis zum mutmaßlichen Volksentscheid Ende September schafft, schnelleren Baufortschritt zu organisieren – und das nach außen zu zeigen. Was diese kleine Aussicht aber doch trübt, ist die Frage: Warum sollte das so plötzlich klappen?

Stefan Alberti