: Klang in der Schüssel
Massage Vibrationen klingender Schalen die Verspannungen lösen, das klingt stark nach Esoterik. Doch was können die fernöstlichen Schalen?
von Muriel Kalisch
Es gibt die verschiedensten Formen von Massagen. Ob Medizin oder Wellness, ob schwedische oder Thai-Massage – sie alle haben eines gemeinsam: Man wird ordentlich durchgeknetet. Simone Grunert berührt ihre Klienten nicht. Sie lässt Klänge für sich arbeiten.
Bei einer Klangmassage platziert Grunert Klangschalen auf dem Körper ihres Klienten. Die bronzenen Schalen stammen aus Indien, Tibet und China und wurden ursprünglich als Küchengeschirr eingesetzt, bis die westliche Esoterik-Szene sie für sich entdeckte. Stößt Grunert die Schalen an, beginnen sie zu vibrieren und geben einen summenden Ton von sich. Durch die Schwingungen soll sich das Nervensystem beruhigen.
Zu Beginn führt Grunert eine sanft angeschlagene Klangschale über den Körper ihrer Kundin Beatrice Maier. „Damit nimmt der Körper bereits die ersten Schwingungen auf“, sagt Grunert. Anschließend platziert sie die erste Schale auf Maiers Brust. Die Kundin liegt mit geschlossenen Augen da, man hört wie ihr Atem tiefer wird. „Die Kunden bleiben komplett bekleidet“, erklärt Grunert eine der Besonderheiten der Klangmassage. Sich auszuziehen sei nicht notwendig, da die Schwingungen auch durch die Kleidung hindurchgingen. Nach und nach verschiebt die Masseurin die Schalen weiter nach unten auf den Bauch, stellt eine zweite hinzu. Höchstens drei Schalen platziert Grunert auf dem Körper ihrer Kunden. Das ist abhängig von dessen Größe und der erwünschten Wirkung der Massage.
Für 70 Euro bekommen die Kunden bei Simone Grunert eine 60-minütige Anwendung. „Davon sind mindestens 45 Minuten reine Massage“, sagt sie. Der Rest der Zeit dient der Vorbesprechung, wo die Probleme und Wünsche des Kunden liegen. Aber auch die Ruhepause nach der Massage ist wichtig. Um deren Ende einzuläuten schlägt Grunert ein Koshi an. Es klingt wie ein sehr sanftes Windspiel.
„Die Massage bringt dich in eine tiefe Entspanung“, sagt Grunert. Kundin Maier fügt hinzu: „Es fühlt sich an als ob dein ganzer Körper zu schwingen beginnt.“
Maier bekam ihre erste Klangmassage zu einer Zeit, als ihr Knie ihr große Probleme bereitete. Die Massage empfand sie als sehr wohltuend: „Ich habe richtig gemerkt wie die Wellen durch mein Knie liefen.“ Danach habe sich alles viel leichter und fließender angefühlt, sagt Maier. Trotzdem ist eine Klangmassage keine medizinische Behandlung, betont auch Grunert: „Ich behandle keine Krankheiten. Wenn überhaupt, behandle ich Stress.“ Da Grunert weder Ärztin noch Heilpraktikerin ist, darf sie ihre Massagen auch nicht als Behandlungen anbieten. Obwohl sie offen angibt, dass es bei ihren Massagen in erster Linie um Entspannung geht, glaubt Grunert auch an die physische Wirkung der Klangmassagen: „Die Vibration versetzt die Flüssigkeiten im Körper in Bewegung.“ Dadurch sollen Zellen angeregt werden sich zu erneuern.
Das Peter-Hess-Institut im niedersächsischen Bruchhausen-Vilsen arbeitet derzeit an der wissenschaftlichen Anerkennung solcher Erkenntnisse. Verschiedene Studien zur Wirksamkeit von Klangmassagen bei Tinnitus oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen stammen vom „Europäischen Fachverband Klang (R)“, gegründet im Jahr 1999 mit Peter Hess als erstem Vorsitzenden. In der westlichen Medizin finden die Bemühungen des Verbands und Peter Hess keinen Rückhalt.
Der Krankengymnast und medizinische Masseur Peter Dallmann glaubt nicht an eine Wirkung, die über Entspannung hinausgeht: Zu klein seien die wissenschaftlichen Studien die vom PHI durchgeführt werden. „Klangmassagen sind ein reines Wellness-Produkt“, sagt Dallmann. In seiner Praxis in St. Georg empfängt der Krankengymnast hauptsächlich verspannte Bürokräfte. Ihnen hilft er mit Wärmetherapie und Massagen, bei denen, im Gegensatz zur Klangmassage, viel Druck ausgeübt wird. „Die Patienten können am nächsten Tag durchaus Muskelkater haben. Aber nur so lösen sich die Verspannungen.“
Neben der wissenschaftlichen Erforschung von Klangmassagen ist ein wesentlicher Teil von Peter Hess’Arbeit die Lehre: Obwohl es verschiedene Ansätze der Klangmassagen gibt, gilt Hess als der Erfinder der Massageform und bildet in seinen Seminaren regelmäßig Klangpraktiker aus.
Auch Simone Grunert besuchte ein Jahr lang Seminare im Peter-Hess-Institut. Ihre ersten Erfahrungen mit Klangschalen reichen aber schon deutlich weiter zurück, erzählt sie. „Meine erste Klangschale habe ich vor 15 Jahren gekauft“, sagt Grunert. Die sei aber eigentlich nur Dekoration gewesen. Als der Vater ihres damaligen Freundes im Wachkoma lag, setzte sie die Schale zum ersten Mal ein – ganz intuitiv, sagt sie. Eine Reaktion habe man bei dem Wachkoma-Patienten zwar nicht erwarten können, aber sie habe trotzdem das Gefühl gehabt, dass es ihm gut tue.
Als sie auf einer Indienreise vor fünf Jahren eine weitere Klangschale fand, hatte Grunert ihren Job als Fotoredakteurin bereits aufgegeben. „Zu stressig“, fand sie und machte sich mit spirituellem Schmuck selbstständig. Die indische Klangschale habe sie sofort fasziniert, erzählt Grunert. „Als ich dann nach Hause gekommen bin, habe ich begonnen zu recherchieren. Ich wusste ja gar nicht was man mit den Schalen alles machen kann“, sagt Grunert. Zwei Wochen später habe sie dann im Seminar bei Peter Hess gesessen. Dort lernten die Teilnehmer aber, anders als erwartet, keine Regeln über den richtigen Einsatz der Schalen bei Kunden. Stattdessen vermittelte das erste Seminar im Hess-Institut ein Gefühl für die Klangschalen, um sie erst einmal an sich selbst und bei Freunden einsetzen zu können. „Nach dem ersten Seminar bist du noch keine Peter-Hess-Massagepraktikerin“, sagt Grunert. Über ein Jahr hinweg besuchte sie viele weitere Seminare in Bruchhausen-Vilsen.
Inzwischen leitet Grunert hauptsächlich von den Klängen der indischen Schalen begleitete Meditationen, denn die Massagen sind noch nicht sonderlich bekannt. „Ich habe ein paar Klienten, die etwa einmal im Monat kommen“, sagt Grunert. Oft haben ihre Kunden die Massage geschenkt bekommen und bisher keine Erfahrungen damit gemacht. Beschwert habe sich aber noch niemand, sagt Grunert: „Die fanden es alle immer ganz toll.“ Dabei sei es auch egal, ob die Massierten spirituell seien oder nicht. „Auch wenn jemand der Prozedur skeptisch gegenüber steht, lösen die Wellen in seinem Körper etwas aus.“ Natürlich spielten Gedanken aber trotzdem eine große Rolle – denn die Klangmassage soll nicht einfach bloß Verspannungen behandeln, sondern die „Einheit von Körper, Geist und Seele“ wieder herstellen, sagt Grunert.
Der ganzheitliche Ansatz gefällt auch der Kundin Beatrice Maier, selbst ausgebildete Krankengymnastin: „Wenn ich eine falsche Rückenhaltung habe, ändert eine Massage auch nicht dauerhaft etwas an meinen Verspannungen.“ Die problemorientierten Massagen medizinischer Therapeuten könnten außerdem mehr kaputt machen als helfen: „Ich hatte Kollegen, von denen ich mich nicht massieren lassen wollte.“
Maier leitet inzwischen ein Yogastudio. In ihren Kursen setzt sie zum Ende der Ruhephasen selbst manchmal eine Klangschale ein. „Die Teilnehmer meiner Seniorenkurse reagieren unheimlich stark auf die Klänge“, sagt sie. Eine Frau mit chronischen Kieferschmerzen wolle sich bald bei Grunert melden. Die Klänge linderten ihre Schmerzen, sagte sie zu Maier.
Auch wenn medizinische Wirkungen unbestätigt bleiben – schaden können die sanften Klänge aber auf keinen Fall. Das sagt auch Dallmann. Eine Massage, unbewusst bei einem Thrombose-Patienten angewandt, könne einen Herzinfarkt oder Schlaganfall auslösen. „Das mit einer Klangschale zu verursachen, erscheint mir unmöglich.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen