piwik no script img

China von unten

Forschung Carl Arendt begründete 1887 in Berlin die moderne Sinologie. Nun wird er wiederentdeckt

Das Chinabild der Deutschen hatte Höhen und Tiefen – zu Zeiten der Aufklärung etwa hielt man China für ein „gleichsam östliches Europa mit den höchsten Kulturgütern des menschlichen Geschlechts“ (Leibniz). Als jedoch der deutsche Sprachwissenschaftler Carl Arendt (1838–1902) in China als Dolmetscher der deutschen Gesandtschaft arbeitete und die Interessen Preußens und des Deutschen Reichs zu vertreten hatte, war es mit dem Chinabild der Deutschen weniger gut bestellt. Selbst Wissenschaftler betrachteten die chinesische Kultur als nicht zivilisiert, die Sprache als primitiv. Deutschland war Kolonialmacht, wenig später wollte es in China eine „Musterkolonie“ nach dem Vorbild Hongkongs aufbauen.

Carl Arendt war einer der wenigen Deutschen in China in dieser Zeit, der die rassistischen Überzeugungen seines Umfelds nicht ungebrochen teilte, berichtet am Montagabend im Dahlemer Konfuzius-Institut dessen Leiterin Mechthild Leutner. Sie liest aus ihrem Buch über den Sinologen, das gerade erschienen ist, gleich wird sie eine Ausstellung über sein Wirken eröffnen.

Nicht, dass Arendt kein Kind seiner Zeit gewesen wäre – auch er hatte eine eurozentristische Sicht auf das fremde Land. Aber: Während andere Sprachwissenschaftler damals ausschließlich das klassische Chinesisch erforschten, das so gar nicht mehr in China gesprochen wurde, entdeckte Arendt das moderne Nordchinesisch, das die Pekinger Beamten sprachen. Später, nach Arendts Zeit in China, lehrte er es an der Berliner Universität und begründete so die moderne Sinologie. Er war einer der Ersten, der sich auch mit der Geschichte Chinas von unten befasste, der etwa die Sozialgeschichte des Landes miteinbezog.

Eine der eindrücklichsten Anekdoten aus dem Wirken ­Arendts, das nun im Konfuzius-Institut zu entdecken ist, ist die: Einmal musste Arendt im Auftrag der deutschen Gesandtschaft zwischen Spanien und China vermitteln. Es ging um die schlechte Behandlung chinesischer Arbeitskräfte in der spanischen Kolonie auf Kuba. Etwa 120.000 Menschen waren als Kulis gekidnappt oder durch Tricks angeworben worden. Mehr als zehn Prozent der Menschen starben schon während der Überfahrt nach Kuba, sie wurden ausgebeutet und missbraucht wie Sklaven aus Afrika. Arendt, so Mechthild Leutner, gelang es durch seine respektvolle Art und sein Verhandlungsgeschick, dass mehr chinesische Arbeiter aus Kuba zurückkehren konnten, als dies Spanien lieb gewesen sein konnte. Susanne Messmer

Ausstellung bis zum 27. Juli, Mo.–Do. 14–18 Uhr, Konfuzius-Institut, Goßlerstr. 2–4, Dahlem

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen