Der Platz für Verkehrsteilnehmer in der Stadt ist begrenzt. Das Problem liesse sich lösen: Der Hass der Straße
Fremd und befremdlich
Katrin Seddig
Wenn ich jogge, muss ich immer an einer Straße warten. Es gibt keine Ampel, keinen Überweg, und besonders ab dem Nachmittag warte ich da manchmal eine ganze Weile. Ich warte und warte, der Verkehr wird nicht langsamer, weil er ausschließlich in eine Richtung geht, und da wird mir bewusst, dass niemals eines dieser Autos für mich anhalten würde.
Ich halte an und lasse sie alle vorbei, auch weil mir nichts anderes übrig bleibt, weil ich mich nicht zwischen den Verkehr stürzen will, ich will ja leben. Aber da, an dieser Stelle, wird mir immer wieder bewusst, dass ich nachrangig bin, weil ich nicht Auto fahre.
In der Straße, in der ich wohne, in der ganzen, langen Straße, gibt es keine einzige Möglichkeit, ein Fahrrad anzuschließen. Die Häuser stehen relativ nah an der Straße und die Hausbesitzer fanden offensichtlich nur noch Platz für Mülltonnen zwischen Haus und Straße – und für Autos.
Wenn man sein Fahrrad an eine Straßenlaterne anschließt, wird das Fahrrad von den ein- und ausparkenden Autos verbeult, denn meine Straße ist auf beiden Seiten durchgängig, bis an die Kreuzungen ran, beparkt. Vielleicht fährt auch deshalb in meinem Haus, außer mir, keiner Fahrrad.
Der Radweg auf der Straße, den ich täglich befahre, ist alle paar Meter mit Autos zugeparkt. Dann halte ich an, lasse den vorbeirasenden Verkehr vorbei, fahre einen Bogen um das parkende Auto, bis zum nächsten parkenden Auto und so fort.
Wenn ich mir den Platz vor meinem Haus ansehe, den Parkplatz, und wenn ich die Autos, die zu den Mietern meines Hauses gehören, gedanklich nebeneinander stelle, denn wird mir klar, dass vor meinem Haus zwar ausreichend Platz für Fahrradständer wäre, aber nicht für alle Autos. Deshalb hat man wohl auf Fahrradständer verzichtet.
Ich weiß, es gibt auf allen Kanälen eine unversöhnliche Fahrradfahrer–Fußgänger–Autofahrer–Hassdiskussion, aber das bringt uns nicht weiter.
Hass an sich ist nicht zielführend. Die Stadt ist laut, gefährlich und stinkt. Dafür sind in erster Linie weder die Fahrradfahrer noch die Fußgänger verantwortlich, sondern der PKW- und LKW-Verkehr.
Ich war letztens mit Freunden abends in Eppendorf verabredet, ein Freund rief eine Stunde später an, weil er keinen Parkplatz gefunden hatte, da war er wieder nach Hause gefahren. So etwas kann vorkommen, in Stadtteilen wie Eppendorf.
Was kann man aber machen? Es gibt nur eine Möglichkeit: Die Zahl der PKWs muss verringert werden. Wir haben keinen Platz mehr und die Abgase machen uns krank. Es heißt doch sonst immer bei den Kommentarkläusen: „Denkt auch mal einer an die Kinder?“ Ja, denkt mal einer an die Kinder, die an der Sievekingsallee wohnen, an der Stresemannstraße, an der Kieler Straße, an der Wandsbeker Chaussee? Es gibt zarte Versuche der Politik, sich für Carsharing einzusetzen.
Carsharing ist eine Alternative. Ein Parkplatz für mehrere Leute, die sonst mehrere Parkplätze verbraucht hätten. Carsharing-Nutzer sehen das Auto nur als eine Alternative zu Bus und Fahrrad. Sie verhalten sich umweltfreundlicher.
In Hamburg hat es einen Versuch gegeben, genannt „firstmover“, eine mehrmonatige Befragung der Verkehrsbehörde in den Stadtteilen Eimsbüttel und Ottensen, in der es um die Bereitschaft ging, sein Auto abzuschaffen, um zum Carsharing überzugehen. Ganze Fünfzehn Leute waren interessiert. Mich wundert es nicht.
Einer der „Gehts noch“ heißt, drückte das im Kommentar zum NDR-Bericht zu dem Versuch so aus: „Und außerdem, ich werde mein Auto garantiert nicht teilen oder auf ein Fahrrad oder auf Bus und Bahn umsteigen. Ist mir viel zu gefährlich geworden. Und meine soziale Einstellung ist seit mindestens 1,5 Jahren sowieso auf dem Nullpunkt.“
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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