: Ein gefeiertes Arschloch
Tennis Der 35-jährige Roger Federer begeistert beim Finalsieg von Indian Wells das Publikum noch mehr als zu seinen besten Zeiten. Nach seinem märchenhaften Saisonstart rückt er auf den sechsten Weltranglistenplatz vor und könnte bald wieder ganz oben stehen
aus indian wells Doris Henkel
Alle staunen, und auch er selbst kann es kaum fassen. Mit dem Zwei-Satz-Sieg (6:4, 7:5) unter der Sonne Kaliforniens im Finale gegen Freund und Landsmann Stan Wawrinka gönnte sich Roger Federer in Indian Wells den 90. Titel seiner Karriere und den 25. bei einem Turnier der Masters-1.000-Serie. Irgendwie, sagt er, sei das eine märchenhafte Geschichte, nicht allzu lange nach seinem Triumph bei den Australian Open. In der Weltrangliste rückte er auf Platz sechs vor und überholt Rafael Nadal, und angesichts der Tatsache, dass er aus dem zweiten Viertel des vergangenen Jahres nicht allzu viele Punkte zu verteidigen hat, ist auf einmal sogar wieder der Blick zur Spitze frei.
Als Federer Ende 2016 mit seinem Team über die Ziele für 2017 sprach, wollte er sich zunächst nicht auf eine Position in der Rangliste festlegen. Aber weil er dann doch fand, eine Zahl zum Ziel könne ganz hilfreich sein, wurde ein Platz unter den ersten acht nach Wimbledon ins Auge gefasst. Nun ist er sich mit ungebremster Spielfreude, mit Angriffslust und mit ansteckender Leichtigkeit selbst davongelaufen. „Ich will jetzt nicht behaupten, es sei ein Problem“, sagt er, „aber das Ziel muss ich nun definitiv anpassen nach diesem Traumstart.“
Er sei verjüngt aus seiner Pause im vergangenen Jahr zurückgekehrt, hatte der 35-Jährige zu Beginn des Turniers berichtet. Und das Schönste daran ist, der junge ältere Federer begeistert die Leute noch mehr als zu seiner besten Zeit. Das war auch während des Finales so; normalerweise wünscht sich das Publikum bei solch speziellen Gelegenheiten so viel Tennis wie möglich, so viele Sätze wie möglich. Aber als absehbar war, dass Federer nur noch ein, zwei Punkte zum Titel fehlten, konnte man fast den kollektiven Wunsch aller Zuschauer spüren: Schnapp dir den Pokal, jetzt gleich. Diesen und die nächsten.
Stan Wawrinka hatte harte Spiele aus den Tagen zuvor in den Knochen, vor allem gegen den Österreicher Dominic Thiem, und ihm fehlte ein wenig Frische, um noch mehr Druck zu entfalten und die Kreise des Konkurrenten zu stören. Wie gern er Federer zum zweiten Mal in einem großen Finale besiegt hätte – das erste hatte er vor knapp drei Jahren in Monte Carlo gewonnen –, sah man auch an seiner Reaktion bei der Zeremonie, als er erst ein paar Tränen schlucken musste, bevor er reden konnte. „Glückwunsch, Roger“, sagte er dann, wie es bei solchen Gelegenheiten üblich ist. Aber als er dabei den grinsenden Federer ansah, der ihm mit einem positiven Gesichtsausdruck Mut machen wollte, wich er mit grandiosem Schwung vom Pfad des Gewöhnlichen ab und beendete den angefangen Satz mit den Worten: „… der lacht. Er ist ein Arschloch. Aber es ist okay.“ Federer fiel vor Lachen fast vom Stuhl. Später versicherte er immer noch sichtlich amüsiert, er habe nicht das geringste Problem mit der Wortwahl gehabt, und es sei ja auch nicht das erste Mal, dass ihn jemand so bezeichnet habe; normalerweise seien halt keine Kameras dabei. Hat er denn selbst schon jemanden in aller Öffentlichkeit so genannt? Er dachte einen Moment lang nach und meinte dann, immer noch grinsend: „Wahrscheinlich nicht.“
Falls das Thema eine Fortsetzung erforderlich macht – beim Turnier in Miami, das am Montag begann, wird es auch ein Finale geben. Federer hofft, dass er vor dem ersten Auftritt im Crandon Park so viel Pause wie möglich haben wird; jetzt sei es erst mal wichtig, sich zu erholen, sagt er. Beim Turnier auf der tropischen Halbinsel Key Biscayne, das ebenfalls zur 1.000er-Kategorie gehört, wird Wawrinka an der Spitze der Setzliste stehen. Nachdem am Wochenende zunächst Andy Murray wegen einer Ellbogenverletzung abgesagt hatte, folgte einen Tag später der Rückzug von Titelverteidiger Novak Djokovic, ebenfalls wegen einer Ellbogenverletzung. Djokovic wird nach dem Turnier 1.000 Punkte weniger auf seinem Konto der Weltrangliste haben, und angesichts der Tatsache, dass er in den Wochen danach auch jede Menge Punkte aus dem Vorjahr zu verteidigen hat und angesichts der Ungewissheit, wie sich seine Gesundheit entwickeln wird, erscheint eine Möglichkeit am Horizont, mit der Wawrinka nie gerechnet hat – dass er den im vergangenen Jahr so übermächtigen Serben in nicht zu ferner Zukunft überholen könnte.
Und Federer? Wie sieht der die Möglichkeit, womöglich noch mal an die Spitze der Weltrangliste zurückzufliegen? Na ja, sagt er, da er nicht vorhabe, so viel zu spielen, werde er dazu vermutlich einen weiteren Grand-Slam-Sieg in diesem Jahr brauchen. Zu gern wäre er noch mal die Nummer eins, gibt er zu. Wer möchte nach seinem märchenhaften Start darauf wetten, dass er es nicht schafft?
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