piwik no script img

Sehnsucht nach dem Frühling

Goldfische für Nouruz in einem Geschäft in der iranischen Stadt Isfahan Foto: Isabelle Eshraghi/VU/laif

Der Frühling kam immer mit gefärbten ­Eiern und grünen Gersten. Kurz vor Nouruz, dem persischen Neujahrsfest, brachte meine Mutter einige Hühnereier, machte ein kleines Loch oben und eins unten in die Schale und blies dann ins obere Loch, bis die Flüssigkeit aus dem unteren herausfloss. Danach waren die Eier bereit, gefärbt zu werden. Das machten meine Schwester und ich, am liebsten mit Wasserfarben. Mama selber pflanzte Gerstenkörner an, damit sie bis zum Fest grün sprossen. Unter vielen anderen Bräuchen waren diese zwei Elemente für mich der Frühling. Mit ihm beginnt auch ein neues Jahr. Der Zeitpunkt des Jahreswechsels, die Tag-und-Nacht-Gleiche zu ­Frühlingsanfang, ist ein magischer Moment.

Man sagt, dass das, was man in diesem Moment macht, das ganze Jahr prägen wird. Der Sonnenkalender legt den Zeitpunkt fest. Mitten in der Nacht, vormittags oder abends – es kann immer sein. Ich fand den Jahreswechsel in der Nacht oder früh am Morgen immer aufregender. Auf keinen Fall verschlafen, sonst bleibt man das ganze Jahr schlafend. Ich nahm das als Kind sehr ernst.

Irgendwann habe ich aufgehört, Eier zu färben. Irgendwann fieberte ich nicht mehr auf diesen Moment hin. Auf der Suche nach der verlorenen Magie wanderte ich kurz vor Nouruz auf den Straßen Teherans, um durch grüne Gerste und Kresse, Hyazinthen, Goldfische in Gläsern und gefärbte Eier, die zu dieser Zeit überall auf den Straßen zu kaufen sind, wieder begeistert zu werden, um die Männer und Frauen vor und hinter den Fenstern zu beobachten, die versuchten, noch den letzten Fleck von den Scheiben zu entfernen. Oder die anderen, die hin und her eilten, Kuchen und Nüsse zu besorgen. Ich wollte mich animieren, den ­Moment des Jahreswechsels wieder wahrzunehmen.

Und heute? Heute bleibt mir aus der Ferne nur noch eine Art dieser Wahrnehmung, nämlich einfach darüber zu ­schreiben.

Bahareh Ebrahimi

In Iran beginnt das neue Jahr 1396 am Montag genau um 13:58:40 Uhr, in Deutschland um 11:28:40 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen