: Nass geweintes Schießpulver
Verliebt und verzettelt: In „Oscar Wilde – Ein Rausch“ im Gorki Theater basteln alle begeistert am Bild des Dichters, an den sie dann doch keine weiteren Fragen haben
Glücklicherweise gibt es Märchen. Sie sind entschieden einfacher zu verstehen als Gerichtsprozesse über „Sodomie“ und Kunst. In „Oscar Wilde – Ein Rausch“ erzählt die Schauspielerin Monika Lennartz mit leichtem Erstaunen Wildes Märchen von der „Bedeutenden Rakete“ und unterbricht damit die wilde Treibjagd der Heuchler und Sittenwächter auf den Egozentriker Oscar Wilde. Die Rakete, die in dem Märchen denken und sprechen kann, hat im Übrigen, wie der Dichter selbst, ein Problem mit ihrer Selbstverwirklichung. Sie weint darüber ihr Schießpulver nass. Aber weil sie zudem an Realitätsverlust leidet, bekommt sie nicht mit, dass kein Mensch ihr Beachtung schenkt.
Solche Mittel des Selbstschutzes stehen Wilde zu seinem Unglück nicht zur Verfügung. Das Stück, das Bruno Cathomas (Regie) und Remsi Al Khalisi (Dramaturgie) über Leben und Werk Wildes aus dessen Texten collagiert haben, stellt die Reden seiner Selbstverteidigung in den Mittelpunkt, die immer auch ein Ringen um Selbsterkenntnis sind. Die erste Szene ist ein langer Monolog: Wilde bereitet sich im Kerker auf seine Verteidigung vor, schärft seine rhetorischen Waffen und ermutigt sich, zu seinen Fehlern zu stehen. Zugleich ist dieser Monolog ein Initiationsritus, mit dem sich die junge Schauspielerin Bettina Hoppe in den Dichter verwandelt. Seine Sätze werden ihr nie leicht fallen, aber genau darin liegt ihre Stärke: Sie führt das Denken als Anstrengung und das Suchen nach Worten als harte Arbeit vor und darf deshalb zufrieden lächeln über besonders gute Formulierungen.
Bettina Hoppe, Christian Sengewald, Thomas Müller und Niels Bormann haben in der letzten Spielzeit mit Bruno Cathomas im Studio des Gorki Theaters das freie Spiel mit theatralischen Erzählformen anhand der Bibel geübt. Die neue Inszenierung „Oscar Wilde – Ein Rausch“ profitiert von diesem Projekt, Energieströme aus den gewohnten Bahnen zu lenken; etwa, wenn sie als Teil der Collage einen Akt der Komödie „Bunbury – oder die Bedeutung, Ernst zu sein“ im Schnelldurchlauf auf die Bühne bringen. Das Verständnis, das noch dem Wortwitz folgen will, wird dabei wieder und wieder aus der Spur gebracht von den Entgleisungen der Körper, denen selbst so einfache Dinge wie das Tragen einer Hose nicht gelingen will. Monika Lennartz, seit über vierzig Jahren Ensemble-Mitglied im Maxim Gorki Theater, quert dieses Wirren und Wuseln wie ein Magnet, der kurzzeitig an sich bindet und bündelt, was dann wieder in alle Richtungen davonstiebt.
Es scheint aber, dass über dem Ziel, Theaterkonzeptionen aufzubrechen, aus dem Blick geriet, was man von Oscar Wilde eigentlich will und warum man den Prozessen, die seinem Leben und Lieben gemacht wurden, größeren Raum gibt als seiner Sprache und Dichtung. Es sei denn, die Lust an der Karikatur seiner Widersacher, für die Rainer Kühn und Julian Mehne ihre Körper verwringen und verknoten, als ob ihre Blutbahnen und Samenstränge kurz vor der alles zerreißenden Explosion stünden, reicht einem als Motiv.
Am Rande des Stoffes lauert die Geschichte des sexuellen Skandals, ständig gestreift von der Inszenierung, aber nie auf den Punkt gebracht. Es gibt einen Moment, da scheint Oscar Wilde, der eben noch auf den Privilegien des Künstlers beharren wollte, mit Schreck in eine andere Zukunft zu blicken. Da bildet sich ein Chor aus jungen Männern, auf der Bühne und im Publikum, die von einer Vergewaltigung erzählen. Der Schock ist deutlich, und doch man kann dieses Bild nicht ins Verhältnis setzen zum launigen Spiel zuvor.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Nächste Vorstellungen 29. 9., 7. und 14. 10., Maxim Gorki Theater