: Berliner Luft darf Räder drehen
Droht Berlin die Totalverspargelung? Nein, aber ein Gutachten pustet die Behörden sanft in Richtung Öffnung für Windenergie. Ein erstes, fast 200 Meter hohes Windrad könnte in Pankow entstehen
von ULRICH SCHULTE
Der Fernsehturm wird keinen rotierenden Konkurrenten bekommen, auch ein Offshore-Windpark im Wannsee ist ausgeschlossen. Das vorab. Doch die Tatsache, dass Berlin als einziges Bundesland kein einziges Windrad sein Eigen nennt, könnte sich ändern. Schon seit drei Jahren planen Investoren, in Pankow ein fast 200 Meter hohes Hochleistungswindrad aufzustellen.
Der Starrsinn der zuständigen Senatsverwaltungen und ein überholter Flächennutzungsplan haben die über 6 Millionen Euro teure Bürgerwindenergieanlage bisher verhindert. Jetzt mehren sich die Anzeichen, dass die Pankower doch noch das große Rad drehen dürfen. Thorsten Tonndorf, in der Umweltverwaltung für Stadtplanung zuständig, sieht „gute Chancen“, in den nächsten Wochen mit der Wirtschaftsverwaltung über einen Standort einig zu werden.
Es weht ein neuer Wind. Denn bisher waren Berlin und die Windenergie eine alles andere als glückliche Verbindung – sie ignorierten einander. Der 1994 vom Abgeordnetenhaus durchgewinkte Flächennutzungsplan folgte der sturen Logik, dass in einem dicht bebauten Stadtstaat wie Berlin Windräder keinen Sinn machen – auch wenn sich in Bremen 45 Räder, in Hamburg gar 57 drehen. Von Umweltfachleuten wie dem SPD-Abgeordneten Daniel Buchholz immer wieder kritisiert (siehe Interview), stand in dem Plan der Passus: „Aus städtebaulichen Gründen“ seien „keine Flächen für die Errichtung von Windkraftanlagen geeignet“. Juristisch ist diese Sicht überholt. Das Bundesverwaltungsgericht stellte im Februar 2004 klar, dass eine Gemeinde in ihrem Gebiet Windkraft nicht pauschal ausschließen darf.
Die Umweltverwaltung ließ – aufgeschreckt durch die Windfans aus Pankow – in einem Gutachten prüfen, in welchen Gebieten der Hauptstadt man mit Luft Strom erzeugen kann. Die Expertise der Beratungsfirma BPI-Consult, die der taz vorliegt, weist vier Areale als „Windeignungsgebiete“ aus: die Wartenberger Feldmark in Hohenschönhausen-Lichtenberg, Buchholz in Pankow, die Krummendammer Heide und den Schmöckwitzer Werder, beide in Köpenick.
Droht dort nun die Totalverspargelung? Längst nicht. Die Gutachter merken ausdrücklich an, „die Beurteilung des Landschaftsbildes“ müsse vor Ort noch genauer geprüft werden, um „das mögliche Konfliktmaß […] näher zu bestimmen.“ Das Papier bewertet zudem nur rechtlich, es wird erst nach und nach in Politik übersetzt. „Die derzeitige Nutzung der Fläche ist bei der Abwägung entscheidend“, sagt Referatsleiter Tonndorf. Will heißen: Wenn sich in der Krummendammer Heide oder im Schmöckwitzer Werder Kiefernwäldchen sanft im Wind wiegen, mag das Gutachten zwar das Abholzen für Windanlagen empfehlen. Die Verwaltung wird aber kaum den Daumen über knappe Wälder senken.
Nichtsdestotrotz pustet das Papier sanft in Richtung Öffnung für Windenergie. Umweltsenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) will schon im Oktober die Änderung des veralteten Flächennutzungsplanes anschieben. Ein komplexes Verfahren, das gut eineinhalb Jahre dauert, bis das Parlament sein Okay geben kann. Für das Pankower Windrad muss das aber nichts heißen. „Damit kann man umgehen“, deutet Tonndorf eine wohlwollende Beurteilung an. Außerdem gilt bei Anlagen dieser Größenordnung – geplant ist das Spitzenmodell E-112 der deutschen Firma Enercon – das Bundesimmissionsschutzgesetz: Pankow würde als Einzelfall geprüft.
Aus den Behörden ist zu hören, dass als Standort ein Gewerbegebiet im Landesbesitz westlich der Schönerlinder Straße infrage käme. Die Initiatoren der Bürgerwindenergieanlage stünden jedenfalls parat: „Die Genehmigungsunterlagen liegen bereit. Sie könnten sofort loslegen“, sagt Ulf Winkler vom Bundesverband Windenergie, der das Projekt begleitet.