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Erhabenes aus Klebstoff und Puder

Bild Die in Hongkong aufgewachsene Künstlerin Carla Chan schafft Werke für das Zeitalter des Anthropozän – in der Galerie Sexauer zeigt sie Gemälde aus giftigem Staub, die an grandiose Landschaften erinnern

von Philipp Fritz

Seichter Nebel liegt über dem Boden in der Galerie Sexauer in Weißensee. Die Gäste der Eröffnung von „When the world is left only black and white“, der aktuellen Einzelausstellung von Carla Chan, nehmen erst Notiz von diesem eigentümlichen Schauspiel, wenn die Schwaden eine weitgehend schwarze, deckenhohe Videoinstallation links neben dem Eingang scheinbar hochkriechen. „Drifting towards the unknown“ heißt die übergroße Arbeit, die aus übereinandergelagerten Bewegtbildern beruhigend dahinwabernder Wellen besteht.

„Ich habe einen Video-Background“, sagt die 27 Jahre alte Chan. „Abgesehen von dieser einen Videoarbeit zeige ich aber nur Bilder – deswegen hat die Vorbereitung für die Ausstellung so lange gedauert.“ Die Leinwand ist ein Medium, an das die Künstlerin sich erst gewöhnen musste. Chan hätte schon im November ihre Eröffnung feiern können, aber sie wollte ihr Konzept noch einmal überdenken und sich mehr Zeit für ihre Drucke nehmen. Am 24. Februar schließlich, nach etwa einem halben Jahr, war es so weit.

Die Bilder von Chan zeigen Landschaften oder besser schwarz-grau-weiße Formen, die an Landschaften erinnern. „Meine ersten Erfahrungen mit der Natur habe ich vor wenigen Jahren in Skandinavien gemacht, in Schweden und auf Island“, sagt sie. Chan ist in Hongkong aufgewachsen, einer Millionenmetropole, nervös und beengt. „Und dann auf einmal diese Weite, diese Stille, das hat mich beeindruckt.“ Der Ausstellungsbesucher ahnt beim Betrachten zum Beispiel von „Clouded White“, was Chan bewegt hat. Das Bild ist zweigeteilt, ein dunkelgrauer Himmel trifft auf ein tiefschwarzes Massiv, darunter ist alles weiß. Es könnte eine Schneewüste sein oder das Meer: weit, einsam und ruhig, ein Europa fernab der Städte.

Aber warum vom Video zum Stillleben? Was Chan an digitaler Kunst vermisst hat, war das Plastische; ihre Ideen konnte sie lediglich über einen kühlen Bildschirm transportieren. „Mit meinen Bildern möchte ich nun eine Brücke schlagen hin zu etwas, das ich anfassen kann“, sagt sie. Und tatsächlich haben ihre Arbeiten jenes Plastische: Tiefe, Kontur, Gestalt. Geschuldet ist das ihrem Materialeinsatz. Sie verwendet keine Farben, sondern hauchfeines Karbon- oder Eisenpuder, Abfallprodukte der chemischen Industrie. „Ich möchte Landschaften freilegen, aber eben mithilfe von Umweltverschmutzung“, sagt sie. Chan beschäftigt sich damit, wie der Mensch den Planeten Erde verändert, sie schafft Kunst für das Zeitalter des Anthropozän, diese unsere Erdepoche, in der der Mensch ein entscheidender Einflussfaktor auf die Natur geworden ist.

Chans Vorlagen sind Landschaftsfotografien aus Skandinavien. Ihre Leinwände oder Siebdrucke bestreicht sie mit einem speziellen Klebstoff, der über bestimmte Trockeneigenschaften verfügt. Danach verteilt sie behutsam das Puder. Es rieselt die Leinwand runter, setzt sich fest, schafft Strukturen und füllt Flächen. Neben und über Chan pufft es in die Luft. In einem Video in einem Zwischenraum in der Galerie Sexauer stellt sie diesen Prozess vor – allerdings ohne Atemschutzmaske. „Eigentlich sollte ich eine tragen“, so Chan. Das Puder kann in die Atemwege gelangen, der Staub verteilt sich überall und ist nur schwerlich wegzukriegen. Ihr Gesicht, sagt sie, sei nach der Arbeit schwarz.

Was Carla Chan an digitaler Kunst vermisst hat, war das Plastische

Chan hat lange mit verschiedenen Stoffen experimentiert, um die richtigen für ihre Idee zu finden. Darunter waren durchaus auch giftige. Für einen bestimmten Bearbeitungsvorgang benutzt sie Aceton, eine süßlich riechende Flüssigkeit, um ein Bild zu beschädigen. Wird Aceton eingeatmet, kann es zu Kopfschmerzen und Bewusstlosigkeit führen. Chan ist beim Austesten zwar nicht weggekippt, sie hat sich am nächsten Tag aber die Seele aus dem Leib gekotzt. „Ich benutze Aceton nicht mehr so häufig“, sagt sie. Das Motiv war hier das Verhältnis von Konstruktion und Dekonstruktion: etwas schaffen und zerstören, auch das ist Natur, Chans Thema.

Die in Berlin lebende Chinesin ist zwar keine Chemikerin, aber sie hat sich über die Monate ein profundes Wissen über die von ihr zum Einsatz gebrachten Stoffe angeeignet. Auf die Künstler, mit denen sie sich ein Studio in Wedding teilt, wirkt das jedoch nicht beruhigend. Ihnen wird mulmig, wenn Chan mal wieder mit ihrer Atemschutzmaske aufschlägt und sich in Puderwolken hüllt. Deswegen arbeitet sie zumeist im Künstlerhaus Bethanien in Kreuzberg, wo ihr Räume zur Verfügung stehen.

Es braucht mehr als einen Windstoß, eher einen voll aufgedrehten Staubsauger, um die Partikel auf Chans Bildern zu bewegen. Trotzdem sind sie anfälliger als Ölgemälde, zum Beispiel ist beim Transport besondere Vorsicht geboten. „Mir gefällt, dass meine Arbeiten etwas behutsamer behandelt werden müssen als andere“, sagt Chan. „Ich habe sie nicht für die Ewigkeit gemacht.“ Und irgendwie ist auch das wieder eine treffende Allegorie für ihr Thema: die Natur und wie sträflich der Mensch mit ihr umgeht.

Galerie Sexauer, Streustraße 90, Weißensee. Bis 25. März, dienstags bis samstags 13 bis 18 Uhr.

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