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Das irre trunkene Treiben des Lebens

Theater Der Regisseur Luk Perceval hat Hans Falladas Roman „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ am Hamburger Thalia Theater für die Bühne adaptiert

Der glücklose Versuch eines sauberen Neustarts: Protagonist Willi Kufalt (Tilo Werner) Foto: Armin Smailovic

von Katrin Ullmann

Es ist Sport, wie sie da auf der Bühne stehen und ihre hölzernen Ratschen schleudern – minutenlang und in Höchstgeschwindigkeit. Ihre Arme kreisen, ihre Oberkörper sind nach vorn gebeugt. Lange halten sie durch und rasseln immer weiter; eine Sehnenscheidenentzündung scheint schon schmerzhaft in Sicht. Dabei knattert es so laut, als würden Dutzende von Schreibmaschinen malträtiert. Gerade so, als befände sich ein neu gegründetes, eifriges Schreibbüro in gehetzter Auftragslage.

Es ist ein starkes Bild, das Regisseur Luk Perceval gefunden hat. Eines, das das verzweifelte Abmühen deutlich macht und (betrachtet man die halbseidene Mitarbeiterschaft) zugleich auch das Scheitern voraussagt. Der Protagonist Willi Kufalt (Tilo Werner) hat, frisch aus der Haft entlassen, ein Schreibbüro gegründet. Gemeinsam mit seinem Kumpanen Werner Batzke (Kristof Van Boven). Doch ihr Unternehmen überlebt nicht lange. Schon bald wird sich Kufalt neu erfinden müssen und natürlich wieder scheitern.

Der belgische Regisseur Luk Perceval hat „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ auf die Bühne des Hamburger Thalia Theaters gebracht. Es ist Percevals dritte Hans-Fallada-Adaption. Nach „Kleiner Mann, was nun?“ an den Münchner Kammerspielen 2009 inszenierte er im Jahre 2012 „Jeder stirbt für sich allein“ am Thalia; beide Produktionen waren zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Vielschichtig erzählte Perceval in „Jeder stirbt für sich allein“ von der Welt der kleinen Leute, zeichnete mit großer Liebe einzelne Romanfiguren, öffnete ein breites Stimmungsportfolio von Angst über Zynismus bis hin zur Groteske. Doch so fein, so ausgewogen will ihm sein zweiter Hamburger Fallada nicht gelingen. Da hilft es auch wenig, dass wieder Bühnenbildnerin Annette Kurz den Bühnenraum geschaffen hat.

Bei diesem Fallada beschließt ein vergilbter Vorhang die Rückwand der leeren Bühne. Ein schlichtes Karussell, bestückt mit Schaukeln und Ringen, zeichnet sich als Projektion darauf ab. Manchmal treten auch einzelne Figuren hinter den Vorhang, werden zu übergroßen, schattenhaften (Alb-)Traumgestalten, skizzieren dort Straßenszenen oder Bordsteinschwalben. Es ist viel Milieu und auch viel Autobiografie in diesem Roman von 1934, in dem Kufalt, der einen Neustart, „einen sauberen Anfang machen“ wollte, bald zum Betrüger, zum Einbrecher, Dieb und schließlich zum Mörder wird.

Karussell hinterm Vorhang

In Percevals Inszenierung ergeht es Kufalt wie einem Stück Treibholz. Selbst starr und unbeweglich, wird er mitgerissen, von Strudeln und Strömungen, verhakt sich mal hier mal dort. Und schlägt doch nirgends Wurzeln.

Dass ihm das Stigma des Vorbestraften anhaftet, ist zweitrangig. Und dass der Regisseur auch die angstbesetzte Radikalisierung des Einzelnen im Sinn hatte, kann man lediglich im Programmheft nachlesen. Umso stärker bebildert Perceval den Kontrast zwischen dem lauten Äußerlichen und dem stillen Suchen. Zwischen dem allgemeinen, gehetzten Treiben und dem inneren, persönlichen Zweifel.

Ruhig und ungerührt spielt Tilo Werner also den Protagonisten. Am vorderen Bühnenrand steht er meist, bleibt aufrecht und steif, wenn sich der Gefängnispastor (Stephan Bissmeier) an ihn ranschmiert, bleibt entschieden und klar, wenn ihn Wachtmeister Thiessen (Oliver Mallison) aufs Fieseste schikaniert, bleibt nachdenklich und mechanisch, wenn Strichmädchen oder tränennahe Mütter (Christina Geiße) ihn verführen wollen.

Das Karussell hinter dem Vorhang dreht sich da schon längst. Und während das irre, trunkene Treiben des Lebens über weite Strecken ins Albern-Infantile, ins Angestrengt-Manierierte abdriftet, bleibt dieser Kufalt ganz bei sich. Er denkt nach, denkt laut, sucht beharrlich nach einem Weiterkommen und ist doch vor allem gefangen in sich selbst.

Im Hintergrund überzeichnet Perceval die Szenerie – als gelte es, ein Gemälde von Heinrich Zille mit Neonfarben neu zu kolorieren. Zwischen dem bedeutungsschwer wandelnden Sänger Hendrik Lücke, der mit Frack, Zylinder und Operettenschlagern allzu häufig die 20er und 30er Jahre akustisch reanimiert, jagen sechs Schauspieler auf rollenden Bürostühlen durch den Raum, spreizen Beine und Sprache für noch mehr Milieu und schlüpfen Männer mit Perücken in Frauenrollen.

Zu dieser Welt will Tilo Werners Kufalt gar nicht gehören. Seine Reise in die Freiheit ist eine, die ihr Ziel in der (Gefängnis-)Ruhe hat: „Hier quatscht keiner auf einen los. Hier braucht man nichts zu beschließen, hier hat man sich nicht so zusammenzunehmen.“ Man möchte mit ihm gehen.

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