: "Werkzeug, um auf das Eigene zu gucken"
THEATERARBEIT „Ich kann nicht mehr“ heißt sein neues Stück im Hamburger Schauspielhaus. Regisseur René Pollesch über entspannte Proben,die Vorzüge des pausenlosen Immer-weiter-Machens und das Arbeiten im Theater als Instrument, sich mit dem eigenen Leben zu beschäftigen
54, ist Dramatiker und Regisseur und hat neben Frank Castorf das künstlerische Profil der Berliner Volksbühne entscheidend mitgeprägt.
taz: Herr Pollesch, Sie schreiben und inszenieren bis zu sieben Stücke pro Spielzeit. Das klingt arbeitsintensiv.
René Pollesch: Das empfinde ich aber nicht als viel, weil ich beides mag: Ich bin gern allein und unter Leuten. Bei einem Probenprozess ist man sofort nicht mehr mit seinen Texten allein. Man hat vormittags etwas geschrieben und geht anschließend damit zur Probe. Seit ich weiß, dass niemand gleich ein Meisterwerk erwartet und kein pingeliger Perfektionist mehr sein wollte, ist es sehr entspannt.
Mögen Sie keine Pausen?
Wenn man zu lange Pausen macht, braucht man lange, um wieder reinzukommen. Wenn man gleich weitermacht, dann kann man da weitermachen, wo man aufgehört hat. Ich finde Proben nicht anstrengend. Ich bin aber auch nicht jemand, der meint, er müsse alles allein machen.
Ist der Titel Ihres neuen Stücks „Ich kann nicht mehr“ also trügerisch?
Der Titel kommt vom Schriftsteller Christoph Höhtker, der einen Roman mit diesem Titel in der Schublade hat. Das fand ich gut, dass ein Roman so heißt. Ich habe ihn gefragt, ob ich den Titel – gegen Geld – benutzen darf und er hat ja gesagt. Es geht nicht darum, dass ich mich so fühle. Außerdem: Wenn man nicht mehr kann, ist es heutzutage ja nicht üblich, eine Sache wirklich zu beenden. Man macht trotzdem weiter. „Ich kann nicht mehr“, bedeutet letztlich ja gar nichts mehr.
Haben Sie selbst Angst vor einem Burn-out?
Nein. Ein Burn-out stelle ich mir eher so vor, dass man unter Tonnen von Abzuarbeitendem zusammenbricht. Aber ich bin ein guter Verdränger, ich bin sehr fokussiert. Alles Unwichtige kann ich ausblenden.
Für das Theater verausgaben Sie sich also nicht?
Nein, jedenfalls nicht so sehr, dass man kein Leben mehr ausßerhalb davon hat. Das Theater ist ein Instrument, um mich mit meinem Leben zu beschäftigen. Dabei geht es nicht um meine Biografie, sondern darum, das Theater als Werkzeug zu benutzen, um auf das Eigene zu gucken.
Ihre Stücke sind Gedankenspiele zu Begriffen wie Outsourcing, die Sie aus gesellschaftstheoretischen und Sachbüchern zitieren. Welche Texte sind diesmal Grundlage?
Eine Grundlage bilden die Texte des französischen Philosophen Alain Badiou „Theorie des Subjekts“ oder „Lob der Liebe“.
Was erwarten Sie von Ihren Texten?
Die Kommunikation, die mit meinen Texten auf der Bühne gestartet wird, ist keine zwischen Sender und Empfänger. Sie dienen nicht dazu, eine bestimmte Moral ins Publikum zu werfen. Der Text ist eine „Sehhilfe für die Wirklichkeit“, wie Donna Haraway formuliert hat.
Das Publikum ist fürs Schreiben nicht relevant?
Das Publikum ist nicht so wichtig. Auf die Zuschauerperspektive zu gucken, bedeutet nur Zurichtung. Das Publikum mag es selbst am wenigsten, wenn man geradewegs auf es zustürzt. Sowas macht man einfach nicht, das ist irgendwie anbiedernd.
Aber Theater als Medium ist schon wichtig?
Absolut. Man sieht bei uns Leuten auf der Bühne zu, die etwas ernsthaft unternehmen, das auch mit ihnen zu tun hat – keine Fürsprecher und keine Stellvertreter. Vielleicht denken die Zuschauer auch, dass es gut ist, sich mit Theorie auseinanderzusetzen und sich mit ihrem Leben zu beschäftigen. Vielleicht ist die Wirkung dann auch, dass sie anschließend Donna Haraway lesen. Aber das ist natürlich Spekulation.
Interview Katrin Ullmann
Uraufführung: Sa, 25. 2., 20 Uhr, Schauspielhaus Hamburg. Weitere Aufführungen: 4. 3., 9. 3., 30. 3.
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