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Archiv-Artikel

Aufregen im Namen der Bürger

LOBLIED I Tageszeitungen sind bedeutsam für die Demokratie: Sie tragen zusammen, was man zum Weltverstehen braucht – für 24 Stunden

Die Tageszeitung wählt aus, aber sie setzt keine Grenzen. Sie urteilt, aber nicht abschließend

Wer behauptet, Tageszeitungen seien verzichtbar, hat nicht verstanden, wie die Demokratie funktioniert. Oder jedenfalls die Demokratie, wie wir sie kennen.

Denn die ist eine Bürgergesellschaft, von der ein erklecklicher Teil wünscht, an dem Selbstgespräch der Machthabenden und -verwaltenden, der geldeinnehmenden und -ausgebenden Instanzen beteiligt zu werden. Die tapfere Tageszeitungsredakteurin und der ausgeschlafene Tageszeitungsredakteur helfen ihnen dabei.

Das geht nur, weil sie in ihrer Tageszeitungsredaktion jeden Morgen zusammenkommen, um sich im Namen der Bürgergesellschaft aufzuregen – über den Kanzlerkandidaten, über den verseuchten See, ausgebeutete Chinesen, die misslungene Talkshow, eben über alles, was an Informationen über die Drähte, Kanäle und auf Papier angespült wird.

Die RedakteurInnen tun alles, um mehr zu erfahren. Sie rufen bei denen an, die sie für zuständig halten, und bei denen, die sie für klug halten, und bei denen, die ihnen dann noch einmal das Gegenteil erzählen. Und dann streiten sich die RedakteurInnen, wer wie viel davon in die Zeitung schreiben darf.

Genau deshalb ist die Tageszeitung so besonders: Auf begrenztem Platz tragen Menschen, die sehr schnell Informationen zu sortieren und aufzuschreiben gelernt haben, das zusammen, was man ihrer Meinung nach zum Weltverstehen braucht – für rund 24 Stunden. Manche Texte halten länger, andere nicht. Aber einmal am Tag wird Weltübersicht gebündelt.

Dies, rufen die RedakteurInnen, haben wir herausbekommen! Es ist, was Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, an einem Tag wissen sollen und können. Und sehen Sie den Zusammenhang zwischen der Rede des deutschen Finanzministers auf Seite 2 und den traurigen jungen Menschen in Griechenland auf Seite 5? Haben Sie begriffen, dass der Regisseur auf Seite 15 Ihnen eben dies mit Dampf und Musik um die Ohren hauen will? Hören Sie, wie wir mit Ihnen reden?

Die Tageszeitung trompetet nicht an einem Dienstag oder Donnerstag Jahrhundertweisheiten über die Rentenreform oder die Nordsee-Windräder hinaus. Sie weiß, dass sich Mittwoch oder Freitag da noch etwas ändern kann. Die Tageszeitung wählt aus, aber sie setzt keine Grenzen. Sie urteilt, aber nicht abschließend. Sie ist dicht am Geschehen, schläft aber einmal drüber.

Die Redakteurinnen und Redakteure sind nicht perfekt, sie machen Fehler. Aber die Idee einer täglichen Zeitung, die ist perfekt. So gut wie.

ULRIKE WINKELMANN