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„Eisbären haben große Ansprüche“

Zoo Der Biologe Hanno Würbel hält wenig vom Eisbären-Boom: Die Zoo-Umgebung befriedige die Bedürfnisse der großen Raubtiere nicht. Der Tod des Eisbärenbabys Fritz habe damit aber nicht unbedingt etwas zu tun

INTERVIEW Benno Schirrmeister

taz: Herr Würbel, das Eisbären­baby Fritz ist im Berliner Tierpark am Montagabend gestorben, wohl an den Folgen einer Leberentzündung. Hat Sie die Nachricht vom Tod des Tiers überrascht?

Hanno Würbel: Ich habe davon gehört, kann das aber nicht einordnen. Ein Tier kann aus vielen unterschiedlichen Gründen sterben. Da muss man die Untersuchungsergebnisse abwarten.

Eisbären als Zootiere zu halten scheint sehr populär zu sein. Hannover leiert eine Nachzucht an, und selbst Bremerhaven lockt das zweite Jahr in Folge mit einem Eisbärenbaby BesucherInnen. Was halten Sie davon?

Es überrascht mich ein bisschen, wenn man sich vor Augen hält, wie problematisch die Zucht und Haltung von Eisbären in Zoos ist. Allerdings muss man dazu sagen, dass sich keine Verbindung herstellen lässt zwischen der schwierigen Haltung und dem Tod des Eisbärenbabys Fritz. So was kann unter den besten Bedingungen passieren.

Warum ist die Haltung von Eisbären problematisch?

Dass es grundsätzlich problematisch ist, können wir an den Verhaltensauffälligkeiten ablesen, die Eisbären in Gefangenschaft entwickeln: Sie neigen zu Stereotypien. Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass wichtige Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Warum sie es tun, wissen wir nicht in allen Details. Es spielt allerdings sicher eine Rolle, dass Eisbären große Ansprüche an das räumliche Habitat stellen, in dem sie leben.

Hanno Würbel

53, ist Biologe und Professor für Tierschutz an der Uni Bern. Für Forschungen zu Haltungsbedingungen von Tieren erhielt er den ERC-Grant des europäischen Forschungsrats 2012.

Aber sie leben doch in kargen Regionen.

Ja, aber auf großen Flächen. Die Gehege, die wir ihnen anbieten können, sind um ein Tausend- oder eher Millionenfaches kleiner als die Lebensräume, die sie bewohnen. Und an die ist nun einmal ihre Lebensweise angepasst. Sie sind Jäger, sie müssen große Strecken zurücklegen, um sich zu ernähren. All diese Dinge lassen sich in Gefangenschaft nicht leicht nachstellen.

Sie müssen aber doch diese gewaltigen Strecken nur zurücklegen, weil sie im Nahbereich zu wenig Nahrung vorfinden – und nur dann.

Die Tiere, die in kargen Gegenden leben und viel Aufwand betreiben müssen, um sich zu ernähren, wären vielleicht froh, wenn man ihnen das Futter vor die Füße legen würde. In der Realität zeigt sich aber: Weil diese Tiere angepasst sind an ein solches anforderungsreiches Leben, bringen sie sozusagen entsprechende Erwartungshaltungen mit. Die äußern sich auch in ihrem Verhalten. Deswegen werden viele Tiere, besonders auch Raubtiere, unruhig und zeigen Hyperaktivität, wenn sie gefüttert werden und ihr angeborenes Verhalten nicht ausleben können.

Dass sich die Eisbärenhaltung in den Zoos deutlich verbessert hat, reicht nicht aus?

Eisbärenbaby Fritz ist tot

Bevor die Öffentlichkeit es überhaupt einmal sehen konnte, ist das Eisbärenbaby Fritz im Tierpark am Montagabend gut vier Monate nach seiner Geburt gestorben. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt, dazu sind nun Untersuchungen von Gewebe- und Blutproben geplant. Bisher stehe nur fest, dass das Jungtier eine massiv entzündete und vergrößerte Leber hatte, sagte Zoo- und Tierparkdirektor Andreas Knieriem am Dienstag.

Fritz war das erste Eisbärenjunge im Tierpark seit 22 Jahren. Seine Geburt sowie die ersten Fotos und Filmaufnahmen hatten Hoffnungen genährt, auch der Ostzoo könnte einen Besucheransturm erleben wie vor zehn Jahren der Westzoo mit Eisbär Knut. Ende der Woche sollte Fritz erstmals in der extra umgebauten Außenanlage herumtollen. „Wir stehen vor einem Rätsel. Ich hoffe, dass wir das lösen können“, so Knieriem. Fritz sei 14,5 Kilo schwer und 70 Zentimeter groß gewesen. „Er war kräftig und gut genährt.“ (taz, dpa)

Ich bin skeptisch, kann das aber nicht beurteilen: Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass eine artgerechte Haltung jedes Tiers möglich sein müsste. Voraussetzung dafür ist aber, dass man die Bedürfnisse der Tiere kennt – und dann auch berücksichtigt. Bei Eisbären ist das Pro­blem, dass wir deren Bedürfnisse noch nicht umfassend genug kennen.

Die Zoos behaupten, es ginge ihnen um die Arterhaltung. Was sagen Sie dazu?

Ich habe große Zweifel daran, dass man mithilfe der Zoobestände die natürliche Population supplementieren könnte – auf jeden Fall, was Eisbären betrifft. Ein anderes Argument ist, dass man mit der Präsentation dieser Tiere aufmerksam machen könne auf die Problematik der schrumpfenden Lebensräume. Allerdings frage ich mich, ob es dazu wirklich eine Haltung von Tieren braucht; zumindest müsste diese dann den Tieren gerecht werden. Ver­haltensstörungen oder haltungsbedingte Schmerzen und Leiden sind jedenfalls nicht tolerierbar.

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