: Auf zum Showdown am Potsdamer Platz
Festival Am Samstag werden die Sieger der diesjährigen Berlinale bekannt gegeben, am Sonntag gibt es zum Nachklapp noch den Publikumstag – eine erste Bilanz
Von Tim Caspar Boehme
Eigentlich ist dies gar kein so guter Moment, sich zu einem vorläufigen Urteil hinreißen zu lassen. Nach sieben Tagen Berlinale fühlt man sich nicht nur angenehm erledigt, weil das regelmäßige Abtauchen in die Fantasiewelten fremder Menschen nicht allein – im Idealfall – die Schaulust und andere Bedürfnisse befriedigt, sondern auch Kräfte bindet. Die Konflikte, Dramen, Nöte und anderen meist existenziellen Erfahrungen vorwiegend ausgedachter Personen fühlen sich mitunter so an, als säße man keineswegs im Kino, sondern als Psychoanalytiker in einer Praxis und lausche den Monologen der Analysanden, die den Tag über auf der Couch – oder dem Sessel – Platz nehmen.
Die Müdigkeit, die sich dabei einstellt, hat andererseits den positiven Nebeneffekt, dass man selbst geneigt ist, ein wenig von der bewussten Kontrolle abzugeben und die Filme mal mit gleich schwebender Aufmerksamkeit, mal mit Sekundenschlaf durchzogener Wachtraumdösigkeit wahrzunehmen. Auch wenn manche Filme einem wenig Gelegenheit zum Wegdämmern geben, die schwarze Gesellschaftssatire „El Bar“ des spanischen Regisseurs Álex de la Iglesia gehört mit seiner Thrilleranlage zu den wenigen Genrebeiträgen im Wettbewerb, wenn auch außer Konkurrenz.
Traumwelten gibt es dafür in diesem Wettbewerb einige zu besichtigen. Besonders schön immer noch in „Testről és lélekről“ (On Body and Soul) der Ungarin Ildikó Enyedi, der nach wie vor mein Favorit ist. Allein schon wegen der einzigartigen Tierszenen, die zugleich Traumszenen sind, hat er mindestens einen Bären verdient.
Aber auch „Toivon tuolla puolen“ (Die andere Seite der Hoffnung) von Aki Kaurismäki wäre ein würdiger Sieger. Mehr sei an dieser Stelle nicht dazu gesagt, auch nicht zu den unerfreulichen Kandidaten, von denen es ebenfalls eine ganze Reihe gab – weil dieser Text vor Ende des Wettbewerbs fertiggestellt werden musste. Es kann also noch die eine oder andere Überraschung gegeben haben.
Schöne Überraschungen außerhalb des Kampfs um die Bären waren ebenso zu finden, etwa die so temporeiche wie böse Fernsehproduktionssatire „Casting“ von Nicolas Wackerbarth im Forum oder, mit entschieden weniger Tempo, Romuald Karmakars Techno- und House-Meditation „Denk ich an Deutschland in der Nacht“, in der vor allem Move D als Musikphilosoph einen grandiosen kosmologischen Rundumschlag liefert (Panorama Dokumente).
Großes Lob zudem an die Woche der Kritik, in der man sich bei so unterschiedlichen Filmen wie „El auge del humano“ (The Human Surge) von Eduardo Williams oder in dem semidokumentarischen „California Dreams“ von Mike Ott auf hochintelligente Art unterhalten lassen konnte. Man kann nur hoffen, dass die „Woche“ in Zukunft auch im offiziellen Programm der Berlinale mit auftaucht und so noch mehr Neugierige den Weg ins Kino in den Hackeschen Höfen gewiesen bekommen.
Das Gute an der Woche: Am Sonntag wird das Programm den ganzen Tag über noch einmal wiederholt. Wenn man am eigentlichen Publikumstag der Berlinale womöglich kein Glück haben sollte mit den Karten, wäre das eine ernstzunehmende Alternative.
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